„Ich kann mir ein Studium hier vorstellen“

Das MINToring-Programm der FU bietet Schülerinnen ab der 10. Klasse jährlich ein zweiwöchiges Betriebspraktikum an. Während der Sommerferien besuchen die Schülerinnen Workshops in Informatik, Physik, Mathematik und Geowissenschaften, programmieren und experimentieren zusammen mit Wissenschaftler*innen. Maryam Talibi (3. v. l.) hat das Praktikum absolviert und berichtet darüber – auf Deutsch und Englisch.

Vom 7. bis 18. Juli 2025 konnte ich im MINToring-Praktikum der Freien Universität Berlin Wissenschaft hautnah erleben – in Laboren, Workshops und im direkten Austausch mit Forscherinnen. Universitäre Wissenschaft wirkt oft wie eine geschlossene Welt: mit Auswahlverfahren, hohen Kosten oder Räumen, in denen Mädchen selten anwesend sind. Mein Eindruck aus dem MINToring-Praktikum an der FU Berlin war dagegen ein ganz anderer – offen, praxisnah und zugänglich.

Am Anfang steht die Neugier

Die meisten Menschen stellen sich Männer in weißen Laborkitteln vor, wenn sie an Wissenschaft denken, oder berühmte „Genies“, die als Ausnahmen herausragen. In der Schule fällt mir immer wieder auf, wie unterschiedlich Jungen und Mädchen wahrgenommen werden: Jungen gelten als „talentiert“, Mädchen als „fleißig“. Diese scheinbar kleine Unterscheidung sendet eine starke Botschaft.

Am Fachbereich Physik bauen Schülerinnen eine Vakuumkammer: Anbringen einer Vakuumsonde zur Überwachung des Drucks im Inneren einer Ultrahochvakuum-Kammer. / In the Department of Physics students build a vacuum chamber: Attaching a vacuum probe to monitor the pressure inside an ultra-high vacuum chamber.

Aus Neugier, wie Wissenschaft außerhalb des Klassenzimmers aussieht, habe ich am MINToring-Betriebspraktikum der Freien Universität teilgenommen. Statt Formeln an der Tafel fand ich hier echte Labore, echte Projekte und Wissenschaftler*innen – viele von ihnen Frauen –, die uns gezeigt haben, dass Neugier reicht, um den ersten Schritt zu machen. Das Praktikum ist kein Schnupperkurs zum Vorbeischauen – es ist anspruchsvoll, strukturiert und intensiv. Über mehrere Tage hinweg haben wir an aktuellen Forschungsprojekten teilgenommen, Workshops besucht, direkt mit Wissenschaftler*innen gearbeitet und Wissenschaft an der Uni aus nächster Nähe kennengelernt. Wir waren nicht nur Zuschauerinnen – wir haben selbst analysiert, Fragen gestellt und mitgedacht.

Vorbilder finden

Im Praktikum waren wir nicht nur Gäste an der Universität – wir waren Teil des Ganzen. Jeder Tag war anders: mal Workshops, mal Einblicke in laufende Forschungsprojekte, immer aber mit dem Gefühl, wirklich in die Welt von MINT einzutauchen. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir das Treffen mit einer Doktorandin der Bioinformatik: Rim Moussa kommt aus dem Libanon und beschrieb uns ihren Weg in die Forschung. Inspirierend war das nicht nur, weil sie als Frau in der Wissenschaft arbeitet, sondern auch, weil sie nach Deutschland gekommen ist und hier als Migrantin ihre Karriere aufgebaut hat. Für mich war das wie ein Versprechen: auch ich kann diesen Weg gehen – als Frau und als Migrantin.

Überraschend war auch ihre Ehrlichkeit: Sie erzählte, dass sie nie die typische Studentin gewesen sei, die alles auswendig lernt und die Nächte durchpaukt. Was sie getragen hat, waren Neugier und Leidenschaft. Diese Offenheit hat bei uns allen Eindruck hinterlassen. Plötzlich wirkte Bioinformatik – ein Fach, über das wir vorher kaum nachgedacht hatten – nicht mehr einschüchternd, sondern spannend. Als wir in der Gruppe später darüber sprachen, sagten fast alle: Die Art, wie Rim Moussa ihr Fachgebiet erklärt hat, hat uns neugierig gemacht und sogar Lust geweckt, auch Bioinformatik für ein späteres Studium in Betracht zu ziehen. Für mich fasst dieser Moment zusammen, worum es bei MINToring geht: nicht nur Wissenschaft kennenzulernen, sondern auch die Menschen dahinter. Vorbilder zu finden, die einen denken lassen: Wenn sie es geschafft hat, warum nicht auch ich?

Eindrücke von der Atmosphäre an der Freien Universität

Am meisten beeindruckt hat mich nicht nur, was wir gelernt haben, sondern wie man uns begegnet ist. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, ernst genommen zu werden – nicht nur als Schülerin, die mal reinschaut, sondern als potenzielle zukünftige Wissenschaftlerin. Die Atmosphäre an der FU war offen und ermutigend. Keine Frage war „zu klein“, die Mentorinnen hörten wirklich zu und ihre Geduld hat es leicht gemacht, neugierig zu sein. Das war ein deutlicher Unterschied zur Schule, wo oft nur die lautesten Stimmen Aufmerksamkeit bekommen. Hier hatte jede von uns Raum, zu fragen, auszuprobieren und auch mal Fehler zu machen.

Am Fachbereich Mathematik und Informatik erforschen Praktikantinnen Geometrie durch Falten und erfahren, dass sich geometrische Operationen wie Addition oder Multiplikation nicht nur mit Lineal und Zirkel, sondern auch mit Faltmethoden durchführen lassen. / In the Department of Mathematics and Computer Science, interns explore geometry through folding and learn that geometric operations such as addition and multiplication can be performed not only with a ruler and compass, but also with folding methods.

Über den Campus zu gehen und in den Hörsälen zu sitzen, hat mir außerdem ein Gefühl davon gegeben, wie das Studium an der FU sein könnte. Die Universität erschien mir dadurch nicht mehr fern, sondern greifbar – und das war für mich eine der stärksten Motivationen: Mir wurde klar, dass ich mir ein Studium hier tatsächlich vorstellen kann.

Wissenschaft ist auch weiblich

Unbewusst nehmen wir Wissenschaft oft als etwas wahr, das vor allem Männern gehört. Diese Vorurteile wachsen früh. In der Schule sehe ich kleine, aber aussagekräftige Muster: Lehrkräfte wenden sich bei schwierigen Themen eher den Jungen zu und Mitschüler*innen bezeichnen Jungen schnell als „schlau“, Mädchen dagegen als „fleißig“. Solche Unterschiede prägen, wie wir uns selbst sehen. Ein Junge, der an einer Mathe Aufgabe scheitert, denkt vielleicht: „Die Aufgabe war schwer.“ Ein Mädchen in derselben Situation könnte eher denken: „Vielleicht ist das nicht mein Fach.“

Im MINToring-Praktikum habe ich erlebt, wie vielfältig Wege in die Wissenschaft sein können – und dass Wissenschaftler nicht nur Männer im Laborkittel sind. Sie sind auch Frauen, die klug, neugierig, witzig, selbstbewusst und sehr aufgeschlossen sind. Besonders deutlich wurde das an einem Tag im Fachbereich Geowissenschaften. Dort arbeiten in einer Forschungsgruppe ausschließlich Wissenschaftlerinnen – aus unterschiedlichen Ländern und mit verschiedenen Hintergründen. Zu sehen, wie selbstverständlich sie zusammen forschen und diskutieren, war für mich ein Schlüsselmoment: Wissenschaft ist nicht männlich per Definition. Wissenschaft ist auch weiblich.

Was ich mitnehme

Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich in der Wissenschaft meinen Platz finden kann. Was ich bezweifelte, war, ob ich diesen Weg allein gehen muss – als „einziges Mädchen im Raum“. Das MINToring-Praktikum hat mir ein anderes Bild gezeigt: Labore voller Frauen, Mentorinnen, die ehrlich ihre Wege geteilt haben, und Gleichaltrige, die genauso neugierig sind wie ich.

Wissenschaft sollte nicht von Ausnahmen leben. Es reicht nicht, die „erste Frau“ in einem Fach zu feiern und sie gleichzeitig als einzige hinzunehmen. Wirklicher Fortschritt bedeutet, Seite an Seite zu stehen – nicht um zu beweisen, dass wir dazugehören, sondern um die Zukunft der Forschung gemeinsam zu gestalten. Dieses Bild nehme ich mit aus dem Praktikum.

Maryam Talibi, Teilnehmerin des MINToring-Praktikums

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In eigener Sache: Von MINToring zu Stick to STEM

Das Betriebspraktikum für Schülerinnen wurde in diesem Jahr letztmalig im Rahmen des MINToring-Programms durchgeführt, das nach fast 15 Jahren zum 31. Oktober 2025 endet. An den Start ging das Schülerinnenprogramm 2011 auf Initiative des Fachbereichs Physik in Kooperation mit der zentralen Frauenbeauftragten. Ausgeweitet wurde es 2014 auf den Fachbereich Mathematik und Informatik und 2021 auf den Fachbereich Geowissenschaften. Das Betriebspraktikum war Bestandteil eines vielfältigen Jahresprogramms für unterschiedliche Altersgruppen: von Workshops für Schülerinnen der Mittelstufe zum Girls’Day bis zu Campustagen und Workshops bei der SommerUNI für Oberstufenschülerinnen.

Auch wenn das MINToring-Programm endet, stärkt die Freie Universität weiter die Teilhabe junger Frauen an mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Ihr künftiges Projekt „Stick to STEM: Empowerment und Networking für Studentinnen der Physik und Informatik“ wird den Fokus auf Studentinnen richten. Das Projekt unter Leitung von Prof. Dr. Martina Erlemann, Professorin für Wissenschafts- und Geschlechtersoziologie in der Physik, startet voraussichtlich Anfang 2026. Neben Studentinnen wird Stick to STEM ebenfalls Schülerinnen in der Phase der Studienorientierung adressieren – dafür sollen bewährte Formate des MINToring-Programms fortgeführt werden. Daher ist gut möglich, dass MINT-interessierte Schülerinnen auch 2026 in einem Betriebspraktikum an der Freien Universität Einblicke in die Wissenschaft gewinnen können.

Dr. Corinna Tomberger, zentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, MINToring-Projektleitung
Dr. Nelly Mouawad, MINToring-Koordinatorin, Freie Universität Berlin


I Could Picture Myself Studying Here

From July 7th to July 18th, 2025 during the MINToring internship at Freie Universität Berlin, I experienced science up close – in labs, workshops, and conversations with female researchers. University science can seem like a closed world — selective programs, high costs, or spaces where girls are still rarely present. Yet my experience from the MINToring internship at FU Berlin made an open, practical, and accessible picture of STEM for me.

It All Starts with Curiosity

Most people imagine men in white lab coats when they think of science, or famous ‚geniuses‘ who stand out as exceptions. In school, I often notice how boys and girls are seen differently: boys are called talented, while girls are praised for being hardworking. That quiet difference sends a powerful message.

Curious about what science looks like outside the classroom, I joined the MINToring internship at Freie Universität Berlin. Instead of theories on a whiteboard, I found real laboratories, real projects, and scientists — many of them women — who showed us that curiosity is enough to take the first step. The internship is not an easy “drop-in” program. It is structured, challenging, and immersive. Over multiple days, we engaged with real university research projects, participated in workshops, learned from active researchers, and explored how science works at an academic level. We weren’t just watching — we were learning, analyzing, and asking real questions.

Finding a Role Model

During the internship, we were not just visitors at the university — we were participants. Each day was different: we joined workshops, learned about ongoing research projects, and got a real taste of what it means to study and work in STEM at a university. One of the most memorable moments for me was meeting a PhD student in bioinformatics: Rim Moussa comes from Lebanon and spoke openly about her path into research. Hearing her story was inspiring, not only because she is a woman in science, but also because she had moved to Germany and built her career here as an immigrant. For me, that was like a promise: I can follow this path too — as a woman and as an immigrant.

She admitted something that surprised many of us: she wasn’t the kind of student who always wanted to memorize everything or study all night. Instead, she said that what carried her forward was curiosity and passion. That honesty made a huge impression on me. Suddenly, bioinformatics — a field none of us had seriously thought about before — felt less intimidating and more exciting. When we later asked the group how they felt about the subject, almost everyone said the same thing: the way Rim Moussa explained it made us curious, and made it seem like yet another science field to consider for the future. For me, that moment captured what MINToring is all about. It’s not only about learning science, but about seeing scientists as real people with real stories. It’s about finding role models who make you think: If she can do it, maybe I can too.

Impressions of the Atmosphere at Freie Universität

What impressed me most during the internship was not only what we learned, but how we were treated. From the very beginning, I felt that we were taken seriously — not just as school students on a visit, but as potential future scientists. The atmosphere at the university was welcoming and encouraging. In the labs, no question felt too “small.” The mentors really listened to us, and their patience made it easier to open up and be curious. It felt different from school, where sometimes only the most confident voices get attention. Here, everyone had space to ask, to try, and even to make mistakes.

Im Experimentierlabor PhysLab testen die Schülerinnen, wie ein Flaschenzug beim Tauziehen einen unüberwindbaren Vorteil verschaffen kann. / In the PhysLab the students test how a pulley can provide a huge advantage in a tug-of-war.

Walking through the campus and sitting in lecture halls also gave me a taste of what student life at FU might be like. It made the idea of studying at a university feel much more real and reachable. For me, this was one of the most motivating parts of the program: I could picture myself here in the future, not as a visitor, but as a student.

Science Is Also Female

We subconsciously see science as something that mostly belongs to men. These biases grow from early stages in our life. In school, I’ve noticed these small but telling patterns: teachers often turned toward the boys when explaining difficult topics, and classmates were quick to call boys “talented” while girls were described as “hardworking.” Those subtle differences shape how we see ourselves. A boy who gets stuck on a physics problem may shrug it off, thinking, “It’s just a hard question.” A girl in the same position might internalize the struggle: “Maybe I’m not a science person.”

During my MINToring internship, we saw that there are many paths into science, and that scientists aren’t just men in lab coats—they’re also women who are smart, curious, funny, confident, and imperfect.

What I Took Away

I never doubted that I could belong in science. What I doubted was whether I would have to do it alone, as “the only girl in the room.” The MINToring internship gave me a different picture: laboratories full of women, mentors who shared their stories honestly, and peers who were just as curious as I am.

Science should not be about exceptions. It should not celebrate the “first woman” in a field while quietly accepting her as the only one. True progress means standing shoulder to shoulder — not proving that we belong, but shaping the future of research as one of many. That is the vision I carry forward from this experience.

Maryam Talibi, participant of the MINToring-Intership


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