Der 25.11. ist ein wichtiger Gedenk- und Aktionstag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, Mädchen und nicht-binäre Personen. An der Freien Universität gab es vom 22.–25.11. verschiedene Veranstaltungen für alle Hochschulangehörigen. Neben Workshops, einer Ausstellung und einer Podiumsdiskussion hatten FU-Angehörige die Möglichkeit, an einem Wunschbaum Wünsche zu äußern.
Der 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen: ein Tag, an dem seit 1981 weltweit Aktionen zur Beendigung von Diskriminierung und Gewalt jeglicher Art gegenüber Frauen, Mädchen und nicht-binären Personen stattfinden. In diesem Jahr organisierte das Margherita-von-Brentano-Zentrum (MvBZ) gemeinsam mit dem Team Zentrale Frauenbeauftragte vom 22.-25.11. Aktionstage an der FU unter dem Motto „Nein heißt Nein – gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt“.
Als öffentlichen Blickfang in der Rost- und Silberlaube eröffnete Andrea Güttner, Vertretung der Kanzlerin in Abwesenheit, am 23.11. die Ausstellung #MeToo und die Universität. In ihrer Rede verwies Güttner auf den Hintergrund des Gedenktages und die Geschichte der drei Schwestern Mirabal, die sich in der Dominikanischen Republik gegen das diktatorische Regime von Rafael Trujillo wehrten und nach mehreren Monaten der Folter am 25. November 1960 vergewaltigt und getötet wurden. Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG) sei auch in Deutschland, in Berlin, an der FU Thema, so Güttner in ihrer Ansprache. Es gehe dabei um Sichtbarmachung und auch darum, ein verantwortungsvolles Umfeld zu schaffen, um SBDG zu verhindern.
Ausstellung: #MeToo und die Universität
Die Ausstellung #MeToo und die Universität wurde im Rahmen des gleichnamigen ABV-Seminars „#MeToo und die Universität: Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an der Hochschule“ konzipiert. Dieses Seminar wurde im Wintersemester 2019/2020 von Dr. Heike Pantelmann und Dr. Tanja Wälty angeboten. In dem Seminar ordneten die Studierende sexualisierte Gewalt in gesellschaftliche Wissens- und Deutungsschemata ein und analysierten die spezifischen Funktionsweisen der Organisation Hochschule. Die Ergebnisse werden mithilfe verschiedener Schautafeln vermittelt und bieten neben Informationen rund um SBDG auch die Möglichkeit der Reflexion, wie beispielsweise zum Thema „Gar nicht erst zum Täter werden.“
Ein Herzstück der Ausstellung stellen die gängigen SBDG-Mythen dar, die einem Faktencheck unterzogen werden. Sie wurden für die aktuelle Präsentation der Ausstellung ergänzt. Im Alltag vielfach verwendete Äußerungen wie „Das gibt es bei uns (an der Hochschule) nicht“, „Der Rock war zu kurz“ oder „Es gibt so viele Falschanzeigen“ werden geprüft und widerlegt. Die Ausstellung ist in der Fassung von 2020 auch nach dem Ende der Aktionstage online besuchbar.
Podiumsdiskussion
„Danke für Ihr großes Interesse an diesem Thema, dieser Podiumsdiskussion. Wenn die Stühle nicht ausreichen, schauen Sie doch bitte, ob Sie noch welche aus dem Nebenraum holen können.“ So leitete Heike Pantelmann, Geschäftsführerin des Margherita-von-Brentano-Zentrums, die gut besuchte Podiumsdiskussion im Anschluss an die Ausstellungseröffnung ein. Verschiedene Akteur*innen der FU berichteten in der Veranstaltung über Herausforderungen in ihrer Arbeit gegen sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt.
„Eine Riesenherausforderung ist es, für Sichtbarkeit zu sorgen, denn SBDG ist kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem an der Hochschule.“ Mit diesen Worten beschrieb Wendy Stollberg, Geschäftsführung der Arbeitsgruppe Gegen Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (AG SBDG) und Referentin im Team Zentrale Frauenbeauftragte, die Herausforderungen ihrer Beratungs- und Präventionsarbeit. Die Differenz zwischen Theorie und Praxis und die Grenzen von Handlungsspielräumen würden erst in der Beratungspraxis sichtbar. Vorhandene Machtstrukturen könnten ausreichenden Schutz für Betroffene ebenso erschweren wie wirksame Konsequenzen für Täter*innen. Strukturelle Abhängigkeitsverhältnisse, beispielsweise in Lehr- und Betreuungssituationen, verstärkten an Hochschulen die Hierarchien. Zwar habe die Freie Universität in den letzten Jahren durch die Einrichtung der AG SBGD und die Richtlinie zum Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt klar Position bezogen. Dennoch fehlten „verpflichtende Schulungen für Führungskräfte, die auch eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeiter*innen haben“. Darüber hinaus seien Impulse und Erkenntnisse von Studierendenseite sehr wichtig. Für die Zukunft wünscht Wendy Stollberg sich eine „uneingeschränkte Unterstützung der Betroffenen“.
Daniela Baresch, Studentin im Master Gender, Intersektionalität und Politik und Teilnehmerin des Seminars #UniToo?, berichtet aus studentischer Perspektive, was sie als zentrales Problem bei SBDG-Fällen an der FU sieht. In der Praxis sei das Vertrauen von studentischer Seite in offizielle Beratungsstellen an der Hochschule gering – auch an der FU. Dies führe dazu, dass sich Studierende „eher an Stellen außerhalb der Uni oder an studentische Beratungsstellen wenden, die diversitätsgerecht und intersektional beraten“. Zudem berichtete Baresch von ihren Erkenntnissen aus dem von der Berlin University Alliance geförderten X-Student-Research-Groups Seminar #UniToo?! Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt an Berliner Hochschulen. In diesem Seminar, das von Lina Knorr und Tanja Wälty im Sommersemester 2022 angeboten wurde, haben Studierende eigene Forschungen gemacht und unter anderem Interviews mit (de)zentralen Frauenbeauftragen an Berliner Hochschulen zu ihrer Beratungspraxis im Zusammenhang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, Ressourcen und hochschulinternen Spezifika geführt.
Brigitte Reysen-Kostudis, Psychologin in der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung, berät SBDG-Betroffene und berichtete von den sich wandelnden Herausforderungen ihrer langjährigen Berufspraxis: „Ich arbeite seit 30 Jahren an der FU und in den ersten Jahren waren sexualisierte Übergriffe kaum Thema in meiner Beratung, dies hat sich in den letzten Jahren geändert.“ Die Zentraleinrichtung Psychologische Beratung bietet einen geschützten und vertraulichen Raum für Betroffene von SBDG, die oft mit „psychischen Folgen wie Unsicherheit, Ohnmachtsgefühlen, Depression und Scham“ zu kämpfen hätten. Neben Betroffenen berät Reysen-Kostudis auch Menschen, die eigene Grenzüberschreitungen nicht einschätzen können, wofür die häufige Annahme bei SBDG spreche: „Ich habe doch gar nichts gemacht“. Hier sei es wichtig, Wissen zu vermitteln: „Auf Täterseite gibt es wenig Kenntnisse von Formen der Grenzüberschreitung.“
Bezüglich SBDG an der Hochschule sieht Gabriele Rosenstreich von der Arbeitsstelle Diversity der FU vor allem drei große Herausforderungen: Prävention, Intervention und Intersektionalität. Wichtig für die Prävention sei das Verständnis der Gewaltpyramide, in der sexualisierte Gewalt nur die Spitze darstelle. Deren Basis bilden Haltungen, d.h. eine wesentliche Rolle komme der Organisationskultur zu. Ziel sei, „eine Organisationskultur zu pflegen, die ein respektvolles Miteinander garantiert“. Dabei sei zu berücksichtigen, dass trans Studierende die am meisten von sexualisierter Gewalt und Übergriffen Betroffenen an Hochschulen seien. Unter dem Aspekt der Intervention müsse gefragt werden, welche Konsequenzen bei Grenzüberschreitungen ergriffen würden. Wichtig sei es, die Zugänglichkeit von Anlaufstellen zu fördern, aber auch die Beschwerdestruktur an der FU strukturell zu verändern. Schließlich gehe es auch um die Berücksichtigung eines intersektionalen Ansatzes: SBDG sei als Diskriminierung qua Geschlecht häufig verzahnt mit anderen Formen der Diskriminierung.
Eine Perspektive aus der Forschung brachte Tanja Wälty, Wissenschaftliche Mitarbeiter*in am MvBZ im transnationalen Forschungsprojekt Perspectives and Discourses on Sexual Harassment in Higher Education Contexts ein. Wälty problematisierte vor allem „den nicht stattfindenden Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis“. Das Thema SBDG sei seit den 1980er/90er Jahren durch feministische Kämpfe in die Hochschulen getragen worden. Es ergäben sich immer wieder vergleichbare Studienergebnisse, immer wieder vergleichbare Zahlen; das Problem liege in der praktischen Umsetzung. SBDG als strukturelles Problem erfordere strukturelle Lösungen, das sei keine neue Erkenntnis, vielmehr müsse dies „institutionalisiert und Top-Down“ angegangen werden.
In der Fragerunde meldeten sich einige internationale Studierende aus dem Publikum zu Wort, die die deutsche Hochschulkultur in ihrer Leistungsorientierung als sehr einseitig wahrnehmen. Lehrende in Deutschland seien zwar fachlich ansprechbar, im Vergleich zu anderen Ländern sei jedoch kein Raum vorhanden, um Probleme auf der zwischenmenschlichen Ebene zu lösen. Die Uni sei kein Ort für persönliche Gefühle, so dass es insbesondere für internationale Studierende schwierig sei, Ansprechpersonen zu identifizieren und Hilfe zu bekommen. Brigitte Reysen-Kostudis berichtete aus ihrer Praxis, dass andere Länder über deutlich umfangreichere Betreuungsstrukturen verfügten und wünschte sich hier eine Verbesserung an der FU.
Abschließend hatten alle Podiumsteilnehmer*innen Gelegenheit, ihre Wünsche bezüglich SBDG zu äußern. Mehr Sensibilisierung, Prävention sowie Vermittlung von Informationen an Studierende wurden ebenso genannt wie die gemeinsame Übernahme von Verantwortung durch alle Hochschulangehörigen.
Wunschbaum
Doch nicht nur das Podium äußerte im Rahmen der diesjährigen Aktionstage Wünsche. Über einen analogen Wunschbaum in der Rost- und Silberlaube und einen digitalen Wunschbaum konnten alle FU-Angehörigen (anonymisiert) ihre Bedürfnisse und Anliegen im Kontext von SBDG an der Hochschule formulieren.
Beispielsweise wurde die Ent-Tabuisierung von sexualisierter Gewalt und der Wunsch nach mehr Informationsveranstaltungen im Allgemeinen sowie nach verpflichtenden Schulungen für Führungskräfte genannt. Im Folgenden sind einige Wünsche FU-Angehöriger aufgeführt, die sich teilweise auf die Freie Universität selbst, aber auch darüber hinaus auf die Gesellschaft beziehen.
„Auch wünsche ich mir, dass das Thema sexualisierte Gewalt aus der Tabuthemenecke verschwindet und offen, tabufrei diskutiert und verhandelt wird.“
„Informationsmaterial auch in englischer Sprache ist für eine größere Reichweite unabdingbar und sollte für eine internationale Netzwerkuniversität selbstverständlich sein.“
„Ich wünsche mir, dass die „Nein heißt Nein“-Debatte zu einer „Nur Ja heißt Ja“-Debatte evolviert.“
„Ich wünsche mir, dass Frauen sich nicht mehr „schützen“ und Strategien gegen männliche (sexualisierte) Gewalt entwickeln müssen, sondern dass Männer nicht zu Tätern werden oder wegschauen. Ich wünsche mir mehr kritische Reflexion über „Männlichkeit“ und Männerbünde und viel mehr Diskussionen unter Männern über das Thema Sexismus und (sexualisierte) Gewalt.“
„Viele Männer fühlen sich von feministischen „Aktionen“ ausgeschlossen und dabei kann es vermutlich schwerfallen, keine innere abwehrende Haltung zu der Thematik aufzubauen, die sie dann nicht mal äußern dürfen, da es ein Tabu wäre.“
Die gesammelten Wünsche beider Wunschbäume werden nach dem Abschluss der Aktionstage der AG Gegen Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt für ihre weitere Arbeit überreicht.
Sozialisation und Gewalt
Die Öffnung des Themas SBDG für Männer, die Berücksichtigung ihrer Rolle und Verantwortung wurde auf dem Wunschbaum mehrfach genannt. Im Rahmen der FU-Aktionstage wurde ein Workshop zu Sozialisation und Gewaltbereitschaft angeboten, der sich mit der (un-)freiwilligen geschlechtlichen (Selbst-)Sozialisation von Menschen beschäftigt. In einem dreistündigen Workshop, zu dem Menschen aller Geschlechter eingeladen waren, setzten sich die Teilnehmer*innen mit dem Verlernen der Wahrnehmung von Gefühlen, der erworbenen Härte gegenüber dem eigenen Körper und der Sensibilität für eigene Grenzen und die anderer auseinander.
Weitere Angebote der Aktionstage bildeten zwei Workshops. Der Workshop zu (Cyber)Stalking, richtetet sich an Ansprechpersonen in Beratungsstellen, in Studien- und Prüfungsbüros sowie an Personen in gewählten Ämtern. Studierenden und Nachwuchswissenschaftler*innen bot Von Peer zu Peer: Austausch zu sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext einen sicheren Raum, um sich über hierarchische Abhängigkeitsbeziehungen und Grenzverletzungen auszutauschen.
Eine Übersicht aller FU-internen und externen Beratungsstellen sowie weitere Informationen zum Thema sind auf Nein-heißt-Nein-Webseite zu finden.