Publikationsbremse Pandemie (1): Empirie

Welche Folgen hat die Pandemie für die Karrieren von Nachwuchswissenschaftlerinnen mit Sorgeverantwortung? Wie können Hochschulen verhindern, dass Frauen auf dem wissenschaftlichen Karriereweg ausgebremst werden? Diese Fragen diskutierten Gleichstellungsakteurinnen und Expertinnen in unserer Veranstaltung Publikationsbremse Pandemie, die wir nun dokumentieren.

Geschlossene Kitas, Schulen und Hochschulen während der Pandemie führten zu Kinderbetreuung, Home-Schooling und digitaler Lehre in den eigenen vier Wänden. Im Hochschulbereich wurden insbesondere Wissenschaftlerinnen mit Care-Aufgaben durch die Lockdowns in ihrer Arbeit massiv beeinträchtigt, da Frauen weiterhin die Hauptlast der Sorgearbeit übernehmen – im Privaten für Kinder und pflegebedürftige Angehörige wie auch im Wissenschaftsbetrieb in Betreuung und Lehre. Eingeschränkt waren Forscherinnen besonders in ihren Publikationsaktivitäten; dadurch hat sich der bestehende Gender Publication Gap weiter vergrößert.

Die Podiumsrunde: Sarah Czerny, Lena Eckert, Lena Hipp, Stine Gutjahr, Kathrin Zippel, Svenja Saure, Barbara Fritz, Verena Blechinger-Talcott und Corinna Tomberger (v. l. n. r.), Foto: Merle Büter

Dieser erste Beitrag widmet sich den empirischen Befunden zum pandemiebedingten Gender Publication Gap. Demnächst folgen zwei weitere Beiträge: Good-Practice-Beispiele für Maßnahmen stehen im Zentrum des zweiten Teils, den Perspektiven für die Gleichstellungspolitik der Freien Universität gilt der dritte Teil unserer Serie.

Bereits in unserer vorangegangenen Veranstaltung Kinder, Corona, Karriereknick 2021 hatte Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, vor den spürbaren Folgen für Wissenschaftlerinnen und der drohenden Verschärfung der Geschlechterasymmetrien im Hochschulsystem gewarnt. Knapp zwei Jahre später, im Februar 2023, luden wir erneut zur Diskussion ein, um mittel- und langfristige Auswirkungen auf Karrieren von Wissenschaftlerinnen ebenso wie Good-Practice-Beispiele für Maßnahmen und konkrete Perspektiven für die Gleichstellung an der Freien Universität zu erörtern. Da uns das Thema für die Gleichstellung an der Freien Universität wie auch in Wissenschaft und Hochschule insgesamt zentral erscheint, dokumentieren wir die Veranstaltung – nicht zuletzt auf vielfachen Wunsch der Teilnehmenden – ausführlich in einer dreiteiligen Serie von Blogbeiträgen.

Eine verlorene Generation von Wissenschaftlerinnen?

Den Auftakt unseres Podiums machten die Gründerinnen des Netzwerks Mutterschaft und Wissenschaft, Dr. Sarah Czerney und Dr. Lena Eckert. Sie engagieren sich dafür, Mütter und andere Personen, die Care-Arbeit leisten, im Wissenschaftsbetrieb zu vernetzen, zu unterstützen, zu sensibilisieren und eine Veränderung der universitären Strukturen zu bewirken. Für den Sammelband Mutterschaft und Wissenschaft in der Pandemie, haben sie, gemeinsam mit Dr. Silke Martin, Erfahrungsberichte, von der Studentin bis zur Rektorin, zusammengetragen. Deren Schilderungen lassen die Autorinnen befürchten, dass eine ganze Generation Frauen und Wissenschaftlerinnen – vor allem Mütter mitsamt ihrem Wissen –, der Wissenschaft verloren gehen könnte.

Lena Eckert berichtete von durchaus unterschiedlichen Perspektiven in den Erfahrungsberichten: Angebote wie Home-Office und Digitalisierung seien für Menschen mit Kleinkindern zunächst eine Erleichterung gewesen und hätten mehr Partizipation ermöglicht. Dennoch stellten die Autorinnen einen Rückfall in traditionelle Rollenverteilungen fest. Sarah Czerney betonte als stärkste beobachtete Tendenz „eine unfassbare Überlastung, Erschöpfung und Isolation, die auch immer noch die Karrieren und die Lebensqualität immens beeinträchtigen – und dies sind eben keine Einzelfälle.“

Die Gründerinnen des Netzwerks Mutterschaft und Wissenschaft: Dr. Sarah Czerney und Dr. Lena Eckert, Foto: Merle Büter

Die Leaky Pipeline, so bilanzierte Czerney, „ist durch die Pandemie noch brüchiger geworden, als sie ohnehin schon war“. Zur Gläsernen Decke komme für Mütter die sogenannte Maternal Wall hinzu, also die Diskriminierung als Mutter auf dem Arbeitsmarkt, die für viele bereits vor der Pandemie unüberwindbar gewesen sei. Aufgrund der Erfahrungsberichte sei zu befürchten, dass „jahrzehntelange Gleichstellungserfolge durch die Pandemie zunichte gemacht werden.“

Als Antwort auf die in ihren Sammelbänden identifizierten Belastungen, strukturellen Benachteiligungen und Karriereblockern von Wissenschaftlerinnen mit Sorgeverantwortung, haben Sarah Czerny und Lena Eckert das Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft gegründet. Dessen Ziel es ist, Mütter und Personen, die Care-Arbeit leisten, im Wissenschaftsbetrieb zu vernetzen, zu unterstützen, zu sensibilisieren und eine Veränderung der universitären Strukturen zu bewirken.

Komplexe Perspektiven auf Daten und deren Interpretation

Prof. Lena Hipp, Leiterin der Forschungsgruppe Arbeit und Fürsorge am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, unter anderem beteiligt an einer Studie zu den Auswirkungen von COVID-19 auf die wirtschaftliche und soziale Situation von Frauen in Berlin, widmete sich empirischen Daten und den Herausforderungen ihrer Interpretation. Bezugnehmend auf den Veranstaltungstitel, erklärte sie, die Pandemie sei keine Publikationsbremse per se gewesen. „Um jetzt in dieser Fahrzeugmetaphorik zu bleiben, stellt sich natürlich die Frage, ob die Pandemie ein Gaspedal für den Gender Publication Gap gewesen sein könnte.“ Zwar sei es theoretisch möglich, den Gender Publication Gap anhand von Daten verschiedener Jahre zu vergleichen. „Wenn wir beispielsweise wissen, wie viele Artikel Wissenschaftler*innen 2018 und 2019 auf Server hochgeladen haben, dann vergleichen wir das nochmal für die Jahre 2019 und 2020, und daraus erkennen wir diese Unterschiede“, erläuterte Hipp. Da der Prozess einer wissenschaftlichen Veröffentlichung oftmals länger als ein Jahr dauern könne, gebe es jedoch ein methodisches Problem. „Die Problematik des Gender Publication Gaps ist so eigentlich sehr schwer abzubilden“, schlussfolgerte Hipp.

Professorin Lena Hipp erklärte verschiedene Methoden zur Berechnung des Gender Publication Gaps, Foto: Merle Büter

Bei der Forschung zu Covid-19 sei das methodisch anders, da es hier einen Anhaltspunkt gebe, wann die Wissenschaftler*innen mit der Forschung und dem Publizieren angefangen haben. In diesem Forschungsfeld ist in fast allen Disziplinen ein Gender Publication Gap deutlich ersichtlich. Aufgrund der bestehenden Geschlechterverhältnisse und der daraus resultierenden traditionellen Rollenverteilungen – auch in der Wissenschaft – warf Hipp die Frage auf, ob „Frauen sich vielleicht einfach nicht so sehr für die Covid-Forschung interessierten.“ Anhand der Veröffentlichungszahlen und der Geschlechterverteilung lasse sich die vermehrte Care-Arbeit im Privaten nicht zweifelsfrei als Grund für den vergrößerten Gender Publication Gap identifizieren. „Es ist nicht so eindeutig; man muss das längerfristig beobachten“, so ihr Fazit.

Kitas zu – Produktivität von Eltern runter

Qualitative Befunde zu Wissenschaftler*innen zeichnen ein anderes Bild. „Diese Befragungsdaten, sprechen eindeutig dafür, dass Personen mit Sorgeverpflichtungen ganz schön eingeschränkt waren in der Zeit, die ihnen zur Verfügung stand“, erläuterte Hipp. Für Wissenschaftler wie auch Wissenschaftlerinnen sei erkennbar, dass die Belastungen für Eltern besonders hoch waren. Wenn Männer zuhause Care-Arbeit übernommen haben, wirkte sich das negativ auf ihre Forschungsproduktivität aus. Da Frauen in der Regel mehr Sorgearbeit übernehmen, lasse sich daraus eine höhere Belastung von Müttern in den Lockdowns ableiten.

Nachweisbare Effekte der Lockdowns auf die Produktivität veranschaulichte Hipp am Beispiel ihrer Studie zur Produktivität von Softwareentwickler*innen auf der Plattform Github. Mithilfe der Daten der Vergangenheit entwickelte sie gemeinsam mit Markus Konrad ein Forecast, das heißt ein Vorhersagemodell, das geschlechterdifferenzierte Prognosen zur zukünftigen Produktivität der Developer*innen ermöglichte. Anhand der tatsächlichen Daten ließ sich feststellen, dass die Zahlen der online gestellten Softwareentwicklungen auf GitHub in den meisten Ländern „total in die Höhe gegangen sind und zwar deutlich höher als das, was ich erwartet hätte basierend auf meinem Forecast.“ Wie sich zeigte, war die Produktivitätsrate von lockdownbedingten Schließzeiten von Schulen, Kitas und Arbeitsstätten abhängig. Ein wichtiger Befund sei, dass ein Anstieg bei Frauen nur stattgefunden habe, wenn die Arbeitsstätten geschlossen und die Kitas offen waren. Abschließend erklärte Hipp, dass „das Wissenschaftssystem einfach extrem prekär und instabil ist und so wie es sich in der Pandemie abzeichnete, eben zum allergrößten Teil von Frauen und von Wissenschaftlerinnen getragen wird.“

Wertschätzung in Worten – nicht in Taten

Dr. Stine Gutjahr, Mitglied im Akademischen Senat der FU und erfahrene Frauenbeauftragte am Fachbereich Geowissenschaften, berichtete aus ihrer Perspektive als Vertreterin und Ansprechperson für Wissenschaftlerinnen. Gutjahr wies darauf hin, dass „wissenschaftlich Arbeitende die Ad-hoc-Umstellung auf Onlinelehre trotz der Kinderbetreuung gewuppt haben.“ Auch wenn das Präsidium in mehreren E-Mails anerkannt habe, wie schwer diese Zeit für den Nachwuchs gewesen sei, und seinen Dank aussprach, wurde Wertschätzung „nur in Worten, aber nicht in Taten ausgedrückt.“

Dr. Stine Gutjahr verdeutlichte die Belastungen der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen während der Pandemie an der FU, Foto: Merle Büter

In den Hintergrund sei die Diskussion um pandemiebedingte Einschränkungen und daraus resultierende Überlastungen aufgrund der Debatte über die Auswirkungen des novellierten Berliner Hochschulgesetzes getreten. Wissenschaftlerinnen und Lehrkräfte für besondere Aufgaben mahnten in einem offenen Brief an das Präsidium, das Thema dürfe nicht vergessen werden dürfe, da die Situation für Lehrende akut sei. Verschärft wurde die Doppelbelastung von Pandemie und Online-Lehre durch die Unsicherheit über die Bedingungen zur Verlängerung befristeter Verträge. „Hier haben sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen allein gelassen gefühlt und da wurde von Seite des Präsidiums ungünstig kommuniziert.“ Auf den Karrierewegen des wissenschaftlichen Nachwuchses herrsche ein extremer Zeitdruck. Es müsse sichtbar gemacht werden, dass Kolleg*innen ohne zusätzliche Belastung durch Kinderbetreuung produktiver sein konnten als solche mit Belastungen und dass dies ein strukturelles Problem sei und kein individuelles. Zukünftig, so Gutjahr, seien Maßnahmen für Nachwuchswissenschaftlerinnen wichtig, da diese besonders hart getroffen wurden.

Mit diesem Appell schlug Stine Gutjahr den Bogen zur Frage nach geeigneten Maßnahmen, um den Benachteiligungen von Wissenschaftlerinnen mit Care-Aufgaben entgegenzuwirken. Diesem Thema widmet sich der kommende zweite Teil unserer Veranstaltungsdokumentation. Darin stellen wir einen Überblick über vorhandene Maßnahmen von Prof. Kathrin Zippel, Einstein-Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Gender Studies an der FU, vor und geben mit Svenja Saure, Gleichstellungsreferentin an der Universität Hamburg, einen Einblick in den Close-the-Gap-Fonds der Hamburger Hochschulen.


Merle Büter, Referentin im Team Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität

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