Publikationsbremse Pandemie (2): Good Practice

Welche Folgen hat die Pandemie für die Karrieren von Nachwuchswissenschaftlerinnen mit Sorgeverantwortung? Wie können Hochschulen verhindern, dass Frauen auf dem wissenschaftlichen Karriereweg ausgebremst werden? Im zweiten Teil der Dokumentation unserer Veranstaltung Publikationsbremse Pandemie widmen wir uns den vorgestellten Maßnahmen.

Im bereits veröffentlichten ersten Teil unserer Veranstaltungsdokumentation haben wir auf die empirischen Befunde zu den Auswirkungen der Pandemie auf Wissenschaftlerinnen zurückgeblickt. Im Hochschulbereich waren sie besonders belastet, da sie weiterhin die Hauptlast der Sorgearbeit übernehmen – im Privaten für Kinder und pflegebedürftige Angehörige wie auch im Wissenschaftsbetrieb in Betreuung und Lehre. Diese Belastungen führten unter anderem zu einer eingeschränkten Publikationsaktivität bei Sorgeverantwortlichen und zu einem vergrößerten Gender Publication Gap.

In diesem Beitrag stehen Good-Practice-Beispiele für Maßnahmen im Zentrum während sich der dritte und letzte Teil der Serie den Perspektiven für die Gleichstellungspolitik der Freien Universität widmen wird.

Keine stichhaltigen Erkenntnisse über Maßnahmen

Kathrin Zippel, seit 2022 Einstein-Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Gender Studies an der FU, berichtete von den Vorarbeiten ihres Forschungsprojekts zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf bestehende Ungleichheiten in der Wissenschaft. Zusammen mit ihren studentischen Mitarbeiter*innen Anna Krüger und Isabelle Schmidt hat Zippel einen ersten Forschungsstand auf der Grundlage von Zusammenstellungen verschiedener Universitäten, der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) und außeruniversitärer Organisationen erarbeitet. Anhand dieser Sichtung lasse sich bereits feststellen, dass „es noch keine stichfesten Untersuchungen zu Gleichstellungsmaßnahmen und deren Wirkung in der Krise gibt“.

Mittelfristige Lösungen gegen langfristige Benachteiligungen

Insgesamt fünf übergeordnete Maßnahmengruppen hat das Team um Zippel identifiziert. Als eine erste Gruppe fasste es die Umsetzung des gesetzlichen Rahmens, das heißt die Covid-Verlängerungen gemäß Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die unabhängig von Care-Aufgaben ermöglicht wurden. Hier seien unterschiedliche Informationsgrade über die geänderte Gesetzeslage und deren Folgen für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen festzustellen. Auch die Formen der Kommunikation und das Ausmaß an Transparenz unterscheide sich erheblich. Flexible Arbeitszeitmodelle, Home-Office-Optionen und Kinderkrankentage, um die Betreuung von Kindern und Angehörigen zu ermöglichen, wurden als eine zweite Maßnahmengruppe kategorisiert.

Prof. Dr. Kathrin Zippel plant ein Forschungsprojekt zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in der Wissenschaft, Foto: Merle Büter

Eine dritte Gruppe umfasst Maßnahmen zur Förderung der Forschungsproduktivität, etwa Zuschüsse für das Korrekturlesen von Anträgen und Publikationen sowie für studentische Hilfskräfte, die für Forschungsaufgaben eingesetzt werden können. Ein weiteres Maßnahmenpaket betrifft Belastungen, auch emotionaler Art, und die Prävention von Burnouts, etwa Angebote in den Bereichen Weiterbildung und Personalentwicklung. Zippel gab zu bedenken, wer in einer Situation der Überlastung Zeit habe, diese Maßnahmen überhaupt wahrzunehmen.

Zuletzt verwies Zippel auf jene Gruppe von Maßnahmen, auf die auch die Podiumsdiskussion abzielte: die sogenannten Kompensationsmaßnahmen, die in den letzten drei Jahren als „Pflaster“ gewirkt haben. „Zu diesen Maßnahmen haben wir weniger gefunden und das könnte sein, dass es jetzt eben erst in der Diskussion ist, wobei diese natürlich super wichtig sind, weil sie erstmal kurzfristige Hilfen bieten, um die größten Probleme abzufedern.“ Was vor allem fehlt seien Maßnahmen, die die langfristigen Benachteiligungen in den Blick nehmen und benachteiligten Gruppen, zu denen insbesondere Wissenschaftler*innen mit Sorgeverantwortung gehören, ein Catching-Up, also ein Aufholen, ermöglichen sollen.

Krise als Chance

Trotz der düsteren Aussichten für den weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs, meint Zippel, könne die Pandemie auch positive Auswirkungen haben: „Wir könnten jetzt fragen: Was sind eigentlich die strukturellen Probleme, die schon vorher da waren und die sich jetzt einfach nochmal doppelt und dreifach und vierfach gezeigt haben? Welches Veränderungspotenzial bietet das?“ Beispielsweise bei der Frage nach der ungleichen Arbeitsverteilung, die oftmals eher im privaten Rahmen bei der Haus- und Sorgearbeit verortet werde. Aber die Pandemie habe gezeigt, dass diese auch an den Hochschulen vorherrsche. Dazu empfiehlt Zippel „eine wunderschöne Studie aus den USA, die gezeigt hat, dass die Senior White Men, also weiße Männer in Führungspositionen, mehr Zeit hatten, weil die Studierenden sich mit ihren Sorgen und Betreuungswünschen nicht an sie, sondern an Frauen und People of Colour wandten, die dadurch nochmal mehr belastet wurden“. Für Betreuung müsse es ebenso wie für die Gremienarbeit Kompensationsmaßnahmen geben.

Eine hilfreiche Maßnahme aus den USA seien COVID Impact Statements, in denen Wissenschaftler*innen für Begutachtungen angeben können, welchen Einfluss die Pandemie auf sie hatte, persönlich oder auf ihre Forschung. Für die Bewertung dieser Angaben seien Leitfäden unbedingt erforderlich, um eine faire Beurteilung ohne Bias zu gewährleisten.

Good Practice: “Close the Gap-Fonds” in Hamburg

Die Universität Hamburg richtete zur Abmilderung der Pandemiefolgen 2021 einen Verfügungsfonds unter dem Titel Close the Gap ein, um Lehrende und Forschende mit Familienaufgaben zu unterstützen. Svenja Saure, Gleichstellungsreferentin der Stabsstelle Gleichstellung der Universität Hamburg, war maßgeblich an der Ausgestaltung des Angebots beteiligt: „Wissenschaftler*innen konnten relativ barrierearm und ohne Fristen Anträge stellen und für die Laufzeit 2021 und 2022 bis zu 100 Stunden Unterstützung durch eine studentische Hilfskraft beantragen.“

Svenja Saure (2.v.l.), Referentin in der Stabsstelle Gleichstellung der Universität Hamburg, stellt den „Close the Gap-Fonds“ vor, Foto: Merle Büter

Weiterhin förderte der Fonds Einzelcoachings sowie zusätzliche Kinderbetreuung, die Sorgeverantwortlichen mehr Flexibilität ermöglichen sollte. Wissenschaftler*innen suchten sich eigenständig eine Betreuungsperson, die mit 12 Euro pro Stunde vergütet wurde, und konnten sich die Kosten über einen Antrag bis zu einer Höhe von 600 Euro im Jahr zurückerstatten lassen.

Finanziert wurde der Fonds durch die Hamburger Wissenschaftsbehörde, die den Hochschulen für 2021 und 2022 zusätzliche Mittel bereitstellte. Mit deren Hilfe wurde darüber hinaus das hochschulübergreifende Netzwerk Close the Gap gegründet, um erfahrene und junge Wissenschaftler*innen in Hamburg zusammenzubringen, die pandemiebedingt vor ähnlichen Herausforderungen standen. Im Rahmen des Netzwerks wurden mehrere Veranstaltungen zu Personalentwicklung, Selbstmarketing im beruflichen Kontext und Career Development angeboten.

51 Anträge: große Nachfrage, hohe Arbeitsbelastung

Der Fonds sei gut nachgefragt worden und habe „unsere kleine Stabsstelle doch vor relativ große Herausforderungen personeller Art gestellt“, berichtet Saure. Insgesamt seien 51 Anträge, davon acht Anträge von Männern mit Familienaufgaben, eingegangen. Von dem bereitgestellten Finanzvolumen wurde die Hälfte für Einzelfallanträge, also hauptsächlich für die Unterstützung durch studentische Hilfskräfte ausgegeben. Ein Fünftel wurde für Veranstaltungen verausgabt, der restliche Betrag für Coachings, Kinderbetreuung und eine studentische Angestellte zur Unterstützung der Stabsstelle. Rückblickend sagte Saure, dass „wir als Team in Bezug auf das zusätzliche Arbeitspensum zu Beginn vielleicht etwas blauäugig waren“. Für zukünftige Projekte sei es sinnvoll, mehr personelle Unterstützung einzurechnen.

Die Podiumsrunde: Sarah Czerny, Lena Eckert, Lena Hipp, Stine Gutjahr, Kathrin Zippel, Svenja Saure, Barbara Fritz, Verena Blechinger-Talcott und Corinna Tomberger (v. l. n. r.), Foto: Merle Büter

Der Fonds „Close the Gap“ konnte nicht allein akute Bedarfe beantworten, sondern erreichte auch sein Ziel, langfristige Maßnahmen zu etablieren. Die Universität Hamburg hat inzwischen Kinderbetreuungsangebote für alle Hochschulmitglieder inklusive Studierender in Form eines Betreuungsfonds verstetigt.

Nach der Vorstellung des Good-Practice-Beispiels der Universität Hamburg widmete sich die Podiumsdiskussion den Perspektiven für die Gleichstellungspolitik der Freien Universität. Diese erörterten die Erste Vizepräsidentin Prof. Verena Blechinger-Talcott und Prof. Barbara Fritz, stellvertretende Sprecherin der Kommission zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen. Deren Einschätzungen geben wir im dritten und letzten Teil unserer Dokumentation wieder.

Merle Büter, Referentin im Team Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität

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