Strafverfolgung von Partnerschaftsgewalt

Im Schnitt wird jeden 3. Tag eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Diese statistische Zahl legt das Bundeskriminalamt vor. Sie scheint so unglaublich, dass ihre Meldung kurz vor Weihnachten – dem Fest der Liebe – schnell vergessen werden will. Dem allgemeinen Desinteresse der Bevölkerung entspricht auch der Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit Partnerschaftsgewalt.

Im Jahr 1999 bestimmte eine UN-Resolution den 25. November zum Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Neben dem 8. März ist dies der wohl einzige Tag im Jahr, an dem sich die deutsche Medienlandschaft dem Thema Partnerschaftsgewalt zuwendet. Anders als die sogenannte häusliche Gewalt, die beispielsweise auch Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern erfasst, konzentriert sich die Partnerschaftsgewalt auf Gewalt in ehemaligen bzw. noch bestehenden Partnerschaften.

Opfer von Partnerschaftsgewalt sind größtenteils weiblich gelesen

Fast jedes Jahr kurz vor dem 25. November präsentiert das Bundeskriminalamt (BKA) seine Auswertung zur Partnerschaftsgewalt. Die Auswertung basiert auf den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Abgebildet wird dabei nur das sogenannte Hellfeld, das heißt alle Straftaten, die den Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis gereicht werden. Die letzte veröffentlichte Auswertung durch das BKA stammt aus dem Berichtsjahr 2021. Sie zeigt, dass rund 80 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt weiblich gelesen sind und nur rund 20 Prozent männlich. Fast spiegelbildlich dazu stehen die Zahlen der Tatverdächtigen: rund 80 Prozent von ihnen sind männlich, rund 20 Prozent weiblich gelesen.

Formen und Folgen physischer und physischer Gewalt

Studien aus der sogenannten Dunkelfeldforschung liefern vertiefte Erkenntnisse. Bei der ersten deutschlandweiten repräsentativen Umfrage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2004 kam heraus, dass jede 5. bis 7. Frau schon körperliche oder sexuelle Übergriffe durch ihren Partner erlebt hat. Aktuellere Studien zeigen einen ähnlich erschreckenden Befund: Nach den Ergebnissen der Dunkelfeldstudie zur Viktimisierung von Frauen durch häusliche Gewalt, Stalking und sexualisierte Gewalt aus Sachsen von 2023 erlebten 37 Prozent der Frauen mindestens eine Form von sexualisierter, physischer oder psychischer Gewalt durch ihren (Ex-)Partner. Psychische Gewalt trifft Opfer dabei oft schwerer als physische Gewalt und hat, wie die BMFSFJ-Studie zeigt, häufig schlimmere psychosoziale Folgen. Trotz dieses Befundes sind viele Formen der psychischen Gewalt, wie Kontrolle, Manipulation, abwertende oder spöttische Kritik, Demütigung, ökonomische Gewalt, soziale Isolation etc. nicht strafbar.

Partnerschaftsgewalt ist kein „Unterschichtenproblem“: Die Mehrheit der Täter und Opfer von schwerer Gewalt in Paarbeziehungen sind im mittleren und höheren Bildungssegment verortet, erwerbstätig, haben keinen Migrationshintergrund und befinden sich nicht in schwierigen ökonomischen Situationen (1).

Der Filterungsprozess im Strafverfolgungssystem

Viele Opfer partnerschaftlicher Gewalt überlegen sich lange, eine Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden zu erstatten. In den meisten Fällen ist es nicht ein einziger Übergriff, der sie zu der Anzeige bewegt. Dem vorausgegangen sind oft Monate oder sogar Jahre systematischen Gewalt- und Kontrollverhaltens (2).

Mit dem Entschluss zu einer Anzeige gehen in der Regel viele schwierige Fragen einher: Was geschieht mit der gemeinsamen Wohnung? Gibt es freie Frauenhausplätze? Wo gehen die Kinder zur Schule? Kann ich mir die Trennung aus ökonomischen Gründen überhaupt leisten? Was passiert mit meiner Aufenthaltserlaubnis? Diese Fragen können so überwältigend sein, dass es nicht verwunderlich ist, dass sich, nach Zahlen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, nur rund 15 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt überhaupt für eine Anzeige entscheiden. Laut der Viktimisierungsstudie aus Sachsen sind es 13 Prozent. Nach der Anzeigeerstattung dauert es teilweise Monate, bis die Staats- bzw. Amtsanwaltschaft sich bei den Anzeigeerstatterinnen meldet.

Das Land Berlin ist das einzige Bundesland, welches nahezu jährlich einen Bericht zur Datenlage und Statistik zur häuslichen Gewalt herausbringt (ist auf Anfrage erhältlich). Darin wird unter anderem erfasst, wie die Berliner Staats- und Amtsanwaltschaft in den Fällen von häuslicher Gewalt entscheidet. Danach wurden in Berlin im Jahr 2019 ca. 15.500 Fälle häuslicher Gewalt von der Polizei erfasst. Rund 11.000 Fälle sind dabei der Partnerschaftsgewalt zuzuordnen; davon 78,9 Prozent weibliche Opfer.

Berlin: Ein einstelliger Prozentsatz der Anklagen landet vor Gericht

Grob zusammengefasst hat die Staats- bzw. Amtsanwaltschaft dann zwei Möglichkeiten, über die von der Polizei vorgelegten Fälle zu entscheiden: Entweder sie stellt den Fall ein (gem. §170 II Strafprozessordnung (StPO) oder §§ 153 ff. StPO), weil beispielsweise nicht genügende Beweise für eine Anklageerhebung vorliegen, oder sie erhebt öffentliche Anklage zum Gericht (§170 I StPO). Entscheidet sich das Gericht dafür, das Hauptverfahren zu eröffnen (§ 199 I StPO), kommt es zu einer Hauptverhandlung. Die Berliner Statistik zeigt, dass knapp 80 Prozent der Fälle von häuslicher Gewalt von der Staats- bzw. Amtsanwaltschaft eingestellt worden sind. Nur in rund 4 Prozent der Fälle wurde Anklage erhoben, in weiteren 6 Prozent ein Strafbefehl erlassen (§§ 407 ff. StPO). Es landet also nur ein einstelliger Prozentsatz der Anklagen wegen Partnerschaftsgewalt überhaupt vor Gericht. Bei den restlichen knapp 11 Prozent handelt es sich hauptsächlich um noch offene Verfahren.

Die Staatsanwaltschaft ist „Herrin des Ermittlungsverfahrens“. Sie ist dafür verantwortlich, dass die polizeiliche Ermittlungstätigkeit gründlich und rechtmäßig durchgeführt wird, so dass Beweismittel beschafft werden können, die vor Gericht Bestand haben. Die Staatsanwaltschaft kann die Polizei auch dazu anhalten, Nachermittlungen anzustellen. Ob das in den Fällen von Partnerschaftsgewalt getan wird, ist mindestens zweifelhaft, angesichts der Vielzahl der Fälle und der Überlastung der Strafverfolgungsbehörden und der Justiz unwahrscheinlich.

Totschlag oder Mord?

Wie viele Freisprüche oder weitere Verfahrenseinstellungen vor Gericht in der Hauptverhandlung ergehen, wird statistisch nicht erfasst. In Fällen des Intimizids, der Tötung von (Ex-)Intimpartner*in, ist vor Gericht allerdings oft fraglich, ob es sich bei der Tat „nur“ um einen Totschlag oder um einen Mord handelt (§§211, 212 StGB). Ein Mord wird zwangsläufig mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft, wofür gesetzlich bestimmte Mordmerkmale erfüllt sein müssen. In den Fällen von Intimiziden kommt regelmäßig das Mordmerkmal der „sonstigen niedrigen Beweggründe“ infrage, da der (Ex-)Partner oft in Trennungssituationen tötet. Dieses Merkmal liegt vor, wenn die Tatantriebe nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen. Während man die Motive des Täters als Bestrafungswille, Rachsucht oder Selbstgerechtigkeit beschreiben könnte (recht eindeutig „niedrige Beweggründe“), könnte man aber auch annehmen, es handele sich um einen Akt der Verzweiflung, des Trennungsschmerzes, der Trauer (bspw.: BGH, StV 2003, 670). Aus veröffentlichten Gerichtsentscheidungen ist ersichtlich, dass auch Gerichte teilweise die zuletzt genannten Motive annehmen und nur wegen Totschlags verurteilen. Damit verkennen sie den patriarchal geprägten exklusiven Besitzanspruch der Täter, die ihren (Ex-)Partnerinnen kein Leben ohne sie zubilligen.

Warum Partnerschaftsgewalt nicht konsequenter verfolgt wird

Warum wird Partnerschaftsgewalt gegen Frauen durch die Strafverfolgungsbehörden nicht konsequenter verfolgt? Hierzu gibt es bisher noch keine empirische Forschung. Eine Erklärung lautet, dass der häusliche Bereich traditionell der privaten Sphäre der Bürger*innen zugeordnet wird, in die der Staat sich nicht einzumischen hat. Möglicherweise wird Partnerschaftsgewalt aber auch als „Frauenproblem“ angesehen und damit als unwichtig abgetan. Die Herabsetzung als „Frauenproblem“ kennen wir schon aus anderen Lebensbereichen:  Hierfür muss man sich nur die Statistiken ansehen, die zeigen, wie viele Frauen alleinerziehend sind, wie sehr Alleinerziehende von Armut bedroht sind, wie viele Frauen in Teilzeit arbeiten, wie viele von ihnen später im Rentenalter armutsgefährdet sind, die Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern, die schlechte Bezahlung typischerweise weiblich besetzter Pflegeberufe, den Gender Pay Gap, die ungenügende politische Repräsentation von Frauen in der Politik und in Entscheidungspositionen usw.

Die Markierung als „Frauenproblem“ blendet aus, dass Frauen einen Anteil von etwa 50 Prozent in der Bevölkerung bilden. Gewalt gegen Frauen bildet nur die Spitze des Eisbergs und ist eingebettet in eine patriarchale Gesellschaft, die in großen Teilen auf der Ungleichbehandlung und Ausnutzung von Frauen basiert. Gewalt gegen Frauen stellt insoweit „nur“ eine weitere Eskalationsstufe dar.

Fazit

Mit Plakataktionen an öffentlichen Plätzen wird darauf aufmerksam gemacht, dass Gewalt gegen Frauen nicht akzeptabel ist. Die Polizei soll eingeschaltet werden. Der Täter muss vor Gericht. Aber wenn sich die Opfer mutig für den steinigen Weg der Strafverfolgung entscheiden, dürfen sie über dessen Ausgang nicht so oft enttäuscht werden. Wenn Partnerschaftsgewalt tatsächlich gesellschaftlich nicht akzeptiert ist, dann muss dies dem Täter durch eine konsequente Strafverfolgung auch gezeigt werden. Hierfür braucht es Lehrgänge und Spezialisierungen für alle Mitarbeitenden der Strafverfolgungsbehörden und der Justiz. Hierzu ist Deutschland durch die Istanbul-Konvention völkerrechtlich verpflichtet. Die Justiz und die Strafverfolgungsbehörden sind überlastet. Sie sind dazu gezwungen, ihre Aufgabenfelder unterschiedlich zu priorisieren. Mitarbeitende dieser Behörden sind Menschen aus der Gesellschaft. Es ist kein Automatismus, dass sie sich für Partnerschaftsgewalt gegen Frauen interessieren. Sie können die damit einhergehenden Straftaten nur priorisieren, wenn dies auch gesellschaftlich eingefordert wird.

Laya Alizad, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Strafrecht und Kriminologie, Fachbereich Rechtswissenschaft, FU Berlin


Quellen

(1) Schröttle, Monika: Sexuelle Gewalt und Gewalt in Paarbeziehungen, in: Viktimisierungsbefragungen in Deutschland, Hrsg.: Guzy, Nathalie et al.; 2015.

(2) Johnson, Michael P.: Patriarchal Terrorism and couple violence: Two forms of violence against women, 1994.

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