
Sexualisierte Übergriffe und Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz senken das Einkommen der Betroffenen und führen zu vermehrter Arbeitslosigkeit. Das sind die Ergebnisse einer Studie aus Finnland, die Anja Prummer, Professorin für Mikroökonomie an der Freien Universität, in diesem Beitrag erläutert. Trotz dieser Auswirkungen wird wenig getan, um die Täter – vorwiegend Männer in Machtpositionen – zur Rechenschaft zu ziehen.
Während zahlreiche Studien die Auswirkungen von Gewalt auf Frauen in der Partnerschaft untersuchen, ist über die ökonomischen Folgen von Gewalt am Arbeitsplatz bisher wenig bekannt. Eine neue Studie mit Daten aus Finnland, einem der geschlechtergerechtesten Länder Europas, das im Gleichstellungsindex vor Deutschland rangiert, ändert dies. Die Studie „Violence against Women at Work“ aus dem Jahr 2024 konzentriert sich auf männliche Täter und dokumentiert die wirtschaftlichen Konsequenzen für Betroffene und für Unternehmen, in denen ein Akt der Gewalt stattgefunden hat.
Fälle von Gewalt am Arbeitsplatz werden selten wahrgenommen, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass diese oft nicht gemeldet werden. Aus Erhebungen geht hervor, dass nur 10 % der Übergriffe bei der Polizei angezeigt werden. Die Studie kombiniert zur Anzeige gebrachte Vorfälle mit Beschäftigungsdaten, d.h. es geht nur die Auswahl von Fehlverhalten am Arbeitsplatz in die Analyse ein, bei denen die Betroffenen ein Gerichtsverfahren anstreben. Wie werden diese klaren Fälle von Fehlverhalten von den Unternehmen gehandhabt? Und welche ökonomischen Auswirkungen haben sie auf Opfer und mutmaßliche Täter?
Formen von Gewalt
Bei den meisten Polizeimeldungen zu Gewalt zwischen Kolleg*innen geht es um Körperverletzung, leichte Körperverletzung, Bedrohung und fahrlässige Körperverletzung. Körperverletzung und leichte Körperverletzung sind vorsätzliche Taten, d.h. es wird vorausgesetzt, dass der Täter jemandem bewusst schaden möchte. Eine Bedrohung liegt gemäß finnischem Strafrecht vor, wenn „eine Person eine Waffe auf eine andere Person richtet oder eine andere Person unter solchen Umständen mit einer Straftat bedroht, dass die bedrohte Person Grund zu der Annahme hat, dass ihre persönliche Sicherheit oder das Eigentum einer anderen Person ernsthaft gefährdet ist“. Fahrlässige Körperverletzung bedeutet, dass der Beklagte keine Maßnahmen ergriffen hat, um Schaden zu verhindern. Zu den in der Studie betrachteten Delikten gehören auch Vergewaltigung, sexuelle Gewalt und Stalking.
Merkmale der untersuchten Angestellten und Unternehmen
Die Studie analysiert 4.650 angezeigte Vorfälle. Die Hälfte der Opfer sind Frauen, die Hälfte Männer. Doch 84 % der Täter sind Männer, die in 3.945 Fällen angezeigt wurden. Daher konzentriert sich die Studie auf männliche Täter – weibliche Täterinnen sind demgegenüber mit weniger als 250 Fällen in der gesamten finnischen Erwerbsbevölkerung über einen Zeitraum von 13 Jahren selten.
Sowohl Opfer als auch Täter unterscheiden sich hinsichtlich ihres Gehaltes nicht systematisch von anderen Arbeitnehmer*innen, bevor es zu einer Straftat kommt. Auch unterscheiden sich diejenigen Unternehmen, in denen es zu Gewalttaten kommt, nicht von Unternehmen, in denen es keine Vorfälle gibt. Insbesondere gibt es keine Unterschiede in Bezug auf die Fluktuationsrate der Arbeitnehmer*innen in der Firma oder geschlechtsspezifische Lohnunterschiede. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass jene Unternehmen, in denen es zu Gewalttaten kommt, im Vergleich zu den Unternehmen ohne Vorfälle toxischer oder frauenfeindlicher sind. Das bedeutet, dass Gewalt überall passieren kann: Durchschnittliche Menschen in durchschnittlichen Unternehmen werden Teil eines gewalttätigen Vorfalls, der schwerwiegenden Konsequenzen für sie hat.
Ökonomische Folgen eines gewalttätigen Vorfalls
Sobald ein Vorfall eingetreten ist, hat dies Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit und das Einkommen. Sowohl bei den Opfern als auch bei den Tätern ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie in den Folgejahren erwerbstätig sind. Darüber hinaus sinkt der Verdienst sowohl bei Opfern als auch bei Tätern erheblich. Besonders interessant ist, dass Ausmaß und Schwere der Auswirkungen auf Opfer und Täter vom Geschlecht des Opfers abhängen.
Handelt es sich bei dem Opfer um eine Frau, so sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Jahr nach dem Vorfall beschäftigt ist, um 20 Prozentpunkte, im Vergleich zu einer Frau, die keine Gewalt erlebt hat. Bei einem männlichen Täter reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, erwerbstätig zu sein, nur um 15 Prozentpunkte. Die Gefahr, arbeitslos zu werden, ist damit für ein weibliches Opfer höher als für einen männlichen Täter. Dieses Muster kehrt sich um, wenn beide – Opfer und Täter – Männer sind. Hier ist der Täter mit vergleichsweise geringerer Wahrscheinlichkeit erwerbstätig als das Opfer.
Diese geschlechtsspezifische Ungleichheit zeigt sich auch beim Verdienst. Ein weibliches Opfer hat im Vergleich zu einem männlichen Täter einen relativ höheren Verdienstausfall. Handelt es sich bei dem Opfer um einen Mann, dann hat der Täter einen relativ höheren Verdienstausfall als das Opfer. Dieser bemerkenswerte Unterschied in Bezug auf die Folgen wirft die Frage auf, was die Ursache für die unterschiedlichen Auswirkungen von Gewalt je nach Geschlecht des Opfers ist.
Ursachen für die geschlechtsspezifischen Auswirkungen
Im Vergleich der angezeigten Gewalttaten qua Geschlecht der Betroffenen zeigt sich, dass Frauen häufiger Opfer von Straftaten mit Vorsatz werden: Körperverletzung und Bedrohung. Männer hingegen sind eher Opfer von fahrlässiger Körperverletzung. Vorsätzliche Gewaltdelikte werden strafrechtlich härter sanktioniert als fahrlässige, und Täter werden mit größerer Wahrscheinlichkeit dafür verurteilt. Frauen erleben somit gravierendere Übergriffe, die auch eher geahndet werden.
Angesichts des unterschiedlichen Schweregrads der Gewalt sind die gravierenderen beruflichen Folgen für Frauen möglicherweise darauf zurückzuführen, dass weibliche Opfer stärker unter den erlebten Gewalttaten leiden als männliche Opfer oder deren Täter. Die vorgestellte Studie vergleicht daher die Folgen für Opfer und Täter eines gewalttätigen Vorfalls am Arbeitsplatz mit denen von Gewalt außerhalb des beruflichen Kontextes. Für männliche Opfer und Täter unterscheiden sich die beruflichen Folgen nicht. Sie sind unabhängig davon, ob der gewalttätige Vorfall zwischen Kollegen oder Nicht-Kollegen stattfindet.
Anders verhält es sich bei männlichen Tätern und weiblichen Opfer. In dieser Konstellation sind die ökonomischen Konsequenzen für männliche Täter weniger schwerwiegend, wenn sie eine Gewalttat am Arbeitsplatz ausüben. Innerhalb der Firma führt ein solcher Vorfall für sie seltener zu Arbeitslosigkeit als im privaten Bereich. Hingegen verschärfen sich die Konsequenzen für weibliche Opfer am Arbeitsplatz relativ zu weiblichen Opfern von Nicht-Kollegen. Obwohl Frauen schwerere Straftaten widerfahren und das Unternehmen vermutlich über den Vorfall informiert wird, erfahren weibliche Opfer durch Gewalt am Arbeitsplatz die stärksten berufliche Nachteile. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?
Wie die Studie zeigt, ist das Machtgefälle zwischen Tätern und Opfern ein entscheidender Faktor für die Folgen von Gewalt am Arbeitsplatz. Frauen werden nahezu immer Opfer von Gewalt durch höhergestellte Kollegen, während Gewalt zwischen Männern im Allgemeinen unter Gleichgestellten stattfindet. Insgesamt geraten Opfer mit höherer Wahrscheinlichkeit in die Arbeitslosigkeit, wenn der Täter eine Führungsposition innehat und ein starkes Einkommensgefälle zwischen Opfer und Täter besteht. Bei den Tätern ist der Effekt umgekehrt: Sie sind weniger stark betroffen, wenn sie eine Machtposition innehaben.
Aufschlussreich ist der Vergleich mit nicht-kollegialer Gewalt von Managern gegen Frauen: Hier ist die Wahrscheinlichkeit, nach einem Vorfall arbeitslos zu sein, für weibliche Opfer kollegialer Gewalt höher, für männliche Manager dagegen geringer als bei vergleichbaren Vorfällen im nicht-kollegialen Kontext. Auch für diese Täter-Opfer-Konstellation gilt, dass sich Gewalt am Arbeitsplatz stärker negativ auf weibliche Opfer auswirkt als Gewalt, die nicht im Arbeitskontext stattfindet. Männliche Täter in Führungspositionen bleiben demgegenüber weitgehend von den Folgen ihrer Taten verschont, wenn sie Gewalt an ihrem Arbeitsplatz ausüben.
Konsequenzen für Unternehmen
Nach einem gewalttätigen Vorfall mit einem weiblichen Opfer in einem Unternehmen steigt die Fluktuationsrate und der Frauenanteil sinkt. Ob betroffene Unternehmen Gewinneinbußen hinnehmen müssen, konnte die Studie nicht klären. Die Wahrscheinlichkeit für einen Konkurs verändert sich nach einem solchen Vorfall jedenfalls nicht. Angesichts unklarer ökonomischer Konsequenzen für das Unternehmen stellt sich die Frage, welche Anreize es gibt, Opfer zu schützen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Auch darüber hinaus regt die Studie zu Fragen an: Wie können Opfer besser unterstützt werden? Und warum werden Täter nicht stärker zur Verantwortung gezogen?
Ein höherer Anteil an weiblichen Führungskräften, so ein ernüchterndes Ergebnis der Studie, verhindert die negativen Folgen für weibliche Opfer nicht. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter nach einer Gewalttat arbeitslos wird, wesentlich höher, wenn es Frauen im Management gibt – unabhängig davon, ob das Opfer männlich oder weiblich ist. Es besteht die Hoffnung, dass die massiveren Konsequenzen für Täter längerfristig abschreckende Wirkung haben könnten.
Fazit
Bemerkenswerterweise hat Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz größere ökonomische Auswirkungen auf weibliche Opfer als auf männliche Täter. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Täter Machtpositionen innehaben, eine Konstellation, die bereits die #MeToo-Bewegung sichtbar gemacht hat. Frauen werden nicht ausreichend vor den Folgen von Gewalt am Arbeitsplatz geschützt. In der Konsequenz werden sie häufiger arbeitslos und ihr Einkommen sinkt. Ähnlich verhält es sich bei Betroffenen sexueller Belästigung, die viel weiter verbreitet ist. Eine schwedische Studie (Folke Rickne 2022) zeigt, dass 25 % der Frauen in männerdominierten Berufen sexuell belästigt werden und daraufhin ihren Arbeitsplatz mit erheblichen Einkommenseinbußen verlassen.
Im Vergleich zu männlichen Betroffenen werden Frauen bei Gewalt am Arbeitsplatz doppelt geschädigt: durch die erfahrene Gewalt sowie durch berufliche Benachteiligung. Verglichen mit männlichen Tätern erleben sie bei Gewalt am Arbeitsplatz mangelnden Schutz.
Prof. Dr. Anja Prummer, Professorin für Mikroökonomie, Freie Universität Berlin
Quellen:
- Abi Adams-Prassl, Kristiina Huttunen, Emily Nix, Ning Zhang, “Violence against Women at Work”, The Quarterly Journal of Economics, 2024, https://doi.org/10.1093/qje/qjad045
- Olle Folke, Johanna Rickne, “Sexual Harassment and Gender Inequality in the Labor Market”, The Quarterly Journal of Economics, 2022, https://doi.org/10.1093/qje/qjac018
Wo finden Betroffene Informationen und Hilfe?
Wenn Sie von sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG) betroffen sind oder grenzüberschreitendes Verhalten beobachtet haben, bieten Ihnen FU-interne und externe Anlaufstellen Beratung und Unterstützung an:
- Zentrale Ansprechperson bei SBDG per E-Mail: no-means-no@fu-berlin.de; per Telefon: 030 838 54970
- Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an den Fachbereichen, Zentralinstituten und Zentraleinrichtungen
- Weitere Anlaufstellen finden Sie auf der NEIN HEISST NEIN Webseite

Blog-Serie zu sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt
Am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen startete das Team geschlechter*gerecht 2024 eine Blogserie zu SBDG. Über jährliche Aktionstage hinaus berichten Wissenschaftler*innen, Gleichstellungsakteur*innen und Expert*innen aus Forschung und Praxis zum Thema sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt. Bisher erschienen sind die Beiträge „Wie nah ist zu nah? Prävention im Uni-Sport“, „Wir müssen das Problem benennen!“, ein Interview mit Dr. Sarah Bellows-Blakely, und „Ich wünsche mir Vertraulichkeit“, eine Auswertung der digitalen Wunschbox vom Aktionstag 2024.
Möglicherweise ist das Engagement für eine gewaltfreie Kindererziehung ebenfalls entscheidend für den Kampf gegen sexualisierte Gewalt – meinte unlängst der Friedensforscher Franz Jedlicka in seinem Podcast. Fand ich interessant, und eigentlich nachvollziehbar ..
Corinna