Katinka Wolter, Professorin für Informatik an der Freien Universität, berichtet im Interview über Höhen und Tiefen auf ihrem Weg zur Professur. Durch Informatik die Welt zu verstehen begeistert sie ebenso wie der Kontakt mit Studierenden und die Vernetzung innerhalb der internationalen Fach-Community, in der Frauen deutlich stärker vertreten sind als in Deutschland.
Ihr Studium sowie die anschließende Promotion absolvierte die Informatikerin an der Technischen Universität Berlin. Vor ihrer Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin wirkte sie bereits an mehreren Forschungsprojekten mit und besuchte als Gastwissenschaftlerin die Hewlett-Packard Laboratories in Palo Alto (USA). Als Senior Research Associate forschte sie nach ihrer Habilitation zwei Jahre lang an der FU. Darauf folgten zwei Gastprofessuren – eine an der Cochin University in Kerala (Indien), eine weitere an der FU – sowie eine Lecturer-Stelle an der Newcastle University (UK). Von dort wechselte Katinka Wolter 2012 auf eine befristete Professur an der FU. Am Institut für Informatik leitet sie seitdem die Arbeitsgruppe Dependable Distributed Systems und ist beteiligt an der Arbeitsgruppe Computer Systems and Telematics. Gleichstellungspolitisch engagiert sie sich im Beirat der MINToring-Programmevaluation und im zentralen Frauenrat.
„Als ich anfing, Mathematik zu studieren, war das ein Schock.“
Was begeistert Sie an Ihrem Fach?
Unser Fach hilft, die Welt zu verstehen. Wir stellen ähnliche Fragen wie im Management: Warum laufen Dinge gut, warum schlecht? Wie kann ich Prozesse regeln und steuern? In der Informatik geschieht das über Algorithmen; Algorithmen sind wie Kochrezepte. Warum kommt am Ende etwas Bestimmtes heraus, wenn ich ein bestimmtes Rezept anwende? Wie muss ich das Rezept verändern, damit am Ende das Produkt anders ist? Zu verstehen, welche Vorschrift welchen Effekt auf das Endergebnis hat, ist ungeheuer befriedigend. Man versteht in gewisser Weise die Welt und weiß, warum etwas passiert. Ich beschäftige mich u.a. mit Warteschlangentheorie. Das bedeutet, wenn ich im Supermarkt in der Schlange stehe, kann ich auf dieser Grundlage überlegen, in welcher Schlange ich schneller bin. Es macht einfach Spaß, wenn die Arbeit so in das Alltagsleben übertragbar ist.
Ein ganz anderer Aspekt, der mir viel Spaß macht, ist der Kontakt zu den Studierenden. Wenn man so kluge junge Leute hat, die entdeckungsfreudig sind und immer weiter dazulernen, oder Studierende, die schwierige Rahmenbedingungen haben und sich durchkämpfen müssen – wenn die am Ende tolle Ergebnisse erzielen und glücklich sind, finde ich das großartig.
Wann wurde Ihr Interesse für Ihr Fach geweckt?
Ich bin über die Mathematik zur Informatik gekommen. Schon als Kind habe ich gerne gerechnet und mit Zahlen hantiert. Als ich dann anfing, Mathematik zu studieren, war das allerdings ein Schock. Ich hatte den Eindruck: Das ist mir viel zu schwer, das kann ich überhaupt nicht! Außerdem wusste ich nicht, was ich damit machen soll. Mir fehlte der Anwendungsbezug. Das waren die Faktoren, die mich gebremst haben. Auf der Suche nach dem passenden Fach habe ich in die Ingenieurwissenschaften reingeschaut, aber so ganz praktisch, das lag mir nicht. Nach dem dritten Semester Mathematik habe ich gewechselt und bin ich in die Informatik eingestiegen. Das fand ich recht einfach und bin dann so durchmarschiert. Die Informatik ist für mich angewandte Mathematik, mit vielen Anwendungsbeispielen, das macht die Mathematik viel einfacher. Letztlich habe ich mich fachlich zwischen Mathematik und Informatik angesiedelt, das ist ganz lustig, finde ich, wie man doch wieder zu den eigenen Interessen zurückkommt.
Wer oder was hat Ihre Entscheidung, ein mathematisch-naturwissenschaftliches Studium aufzunehmen und abzuschließen, bestärkt und gefördert?
Mein damaliger Mathematiklehrer hat mich sehr gefordert, sogar ein bisschen provoziert. Er fand, ich kann das. Er war überzeugt, dass ich ein gutes Mathematikabitur machen würde. Auch wenn mich das manchmal geärgert hat, glaube ich im Nachhinein, dass es gut für mich war, dass er mich gefordert hat. Dadurch wurde mir auch bewusst, dass ich das gerne mache. Die Studienwahl fand ich schwierig. Die Studienberatung legte mir damals BWL nahe, ich fand, das geht nicht. Ich habe mich für Mathematik entschieden.
„Wenn ich jetzt keine Professur bekomme, mache ich eben was anderes.“
Was waren die wichtigsten Stationen auf Ihrem Weg zur Professur?
Das ist schwer zu sagen, es gab Höhen und Tiefen. Einerseits hatte ich akademische Erfolge wie ein Best Paper Award, fachliche Projekte, die gut liefen, interessante Kolleg*innen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, Doktorand*innen, die tolle Sachen gemacht haben. Andererseits gab es immer wieder Absagen, abgelehnte Anträge, Bewerbungen auf Professuren, die nicht klappten. Zwischendurch dachte ich oft, ich sollte aussteigen: Wenn ich jetzt keine Professur bekomme, mache ich eben was anderes. Aber gleichzeitig gab es immer etwas Positives.
Was die Stationen meiner Laufbahn betrifft, habe ich im Anschluss an das Studium in einem Graduiertenkolleg promoviert. Das war anstrengend, aber gut. Nach der Promotion habe ich mich auf einer C-1-Stelle an der Humboldt-Universität habilitiert. Die Stelle wurde mir einfach angeboten und ich nahm sie an, das war problemlos. Danach beantragte ich über die DFG eine eigene Stelle an der FU. Der damalige Dekan hat das sehr unterstützt. Darauf folgten zwei Gastprofessuren, eine im Rahmen des FU-Frauenförderprogamms. Das waren alles befristete Stellen, das hat mich lange Zeit gar nicht gestört.
Im Anschluss ging ich für eine unbefristete Lecturer-Stelle nach England. Diese Position habe ich für eine befristete W2-Professur, eine Frauenförderstelle, an der FU aufgegeben; das ist nach wie vor mein Status. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie sinnvoll das für mein berufliches Fortkommen war. Ich hätte gedacht, es wäre einfacher aus dieser Position auf eine Dauerstelle zu kommen. Aktuell befinde ich mich in einem laufenden Berufungsverfahren für eine Lebenszeitprofessur an der FU.
Welche Phasen Ihrer Laufbahn haben Sie als besonders herausfordernd erlebt und was hat Ihnen geholfen, die Herausforderung zu bewältigen?
Besonders strapaziös fand ich die Promotions- und Habilitationsphase. In dieser Zeit waren meine Kinder klein, das war richtig schwierig. Ich habe fünf Kinder: Mein erstes Kind wurde kurz vor meiner Promotion geboren, mein jüngstes Kind kurz nach meiner Habilitation. Das war nicht einfach, weil man nachts nicht schläft, viel zu tun hat, es ist einfach anstrengend und schwierig. Mein Mann hat aufgehört zu arbeiten, als unsere dritte Tochter geboren wurde, 2003. Er war dann die nächsten fünf Jahre zu Hause und hat sich um die Kinder gekümmert. Das hat mir sehr geholfen. Wenn mein Mann nicht gewesen wäre, wäre alles anders gekommen. Er hat die Familie versorgt, ich konnte arbeiten. Wir mussten dann mit meinem Geld über die Runden kommen, aber irgendwie ging das auch. Darüber hinaus haben mich Kollegen wie der damalige Dekan unterstützt.
„Eine junge Frau in solchen Fächern wird gesehen und sticht hervor.“
Inwiefern hat Ihr Geschlecht in Ihrer Laufbahn eine Rolle gespielt?
Ich denke, das war manchmal ein Vorteil und manchmal ein Nachteil. Meine Tochter studiert Maschinenbau; obwohl sie eine der wenigen Frauen unter 500 männlichen Studierenden ist, wendet sie sich dagegen, dass das irgendeinen Unterschied für ihren Studienerfolg oder ‑verlauf macht. So ging mir das damals auch. Eine junge Frau in solchen Fächern wird auch gesehen und sticht hervor. Solange man jung ist und fachlich entfernt von den Autoritäten, ist das ein Vorteil. Wenn man die Gläserne Decke erreicht, wenn man zur Konkurrenz wird, schwindet dieser Vorteil. Sowohl meine Promotionsstelle als auch meine Postdoc-Stelle habe ich mühelos bekommen. Danach war es nicht mehr mühelos. Einigen Männern fällt es nach wie vor sehr schwer, Frauen als gleichberechtigt zu betrachten. Für die Gleichbehandlung unter Kollegen ist das Geschlecht ein großes Problem, würde ich sagen. Es ist schon ein rechter Hahnenkampf.
Interessanterweise ist es in der internationalen Fach-Community anders, da bin ich eine Autorität. Ich werde oft für Gutachten und Empfehlungsschreiben angefragt, da gehöre ich zu den Senior Researchers. Zu beobachten ist, dass Frauen in meinem Fach international keine Seltenheit sind. In den Kontexten, in denen Frauen keine Minderheit sind, werde ich meinem akademischen Alter entsprechend wertgeschätzt. Wohingegen mir das in Gruppen, in denen Frauen in der Minderheit sind, häufig verwehrt wird. Das ist seltsam, oder? In vielen Ländern ist Informatik Frauensache, in Deutschland jedoch nicht. Die Frage ist: Warum ist das so? Was müsste man tun, damit sich das ändert?
„Ein fachliches Netzwerk öffnet viele Türen.“
Was ist auf dem Weg in die Forschung und zu einer Professur wichtig? Sehen Sie hier Besonderheiten für die MINT-Fächer?
Es ist sinnvoll, sich einem fachlichen Netzwerk anzuschließen. Das öffnet viele Türen. Inwiefern das spezifisch für die MINT-Fächer ist, kann ich schwer beurteilen. Man braucht eine große Gruppe im Hintergrund, mit der man mitsegelt. Das habe ich während meiner Laufbahn zunächst nicht erkannt, ich dachte, es ist gut, irgendwohin zu gehen, wo ich etwas Neues reinbringe und etwas anderes mache als die anderen. Ich glaube inzwischen, man sucht sich besser eine Gruppe, die ähnlich arbeitet. Ich will nicht sagen, dass man sich ins gemachte Nest setzen soll. Aber man sollte nicht denken: Ach, ich mache mein Nest selber! Da überschätzt man sich. Es ist besser, wenn man den Erfolg der Älteren mit nutzt. Wenn man eine etablierte, erfolgreiche Gruppe findet, ist das auch ein Indikator dafür, dass man auf der gleichen Ebene ist und es genauso weit bringen wird wie andere in der Gruppe.
Ein gutes familiäres Umfeld ist ebenfalls wichtig, wenn man keine Kinder hat vielleicht weniger. Aber Unterstützung kann man immer gebrauchen, es geht auch um Rückendeckung. Mein Mann hat mich sehr bestärkt und aufgebaut, auch im Umgang mit den Geschlechterdynamiken.
Was würden Sie jungen Frauen empfehlen, die sich für eine wissenschaftliche Laufbahn in Ihrem Fach interessieren?
Ich würde sagen, es ist hilfreich, frühzeitig ins Ausland zu gehen für eine unbefristete Stelle. Dann kann man sehen, ob es sich lohnt, für eine Professur nach Deutschland zurückzukommen. Das ermöglicht ein wesentlich geruhsameres und stressfreieres Leben. Außerdem erfordert eine wissenschaftliche Laufbahn eine gewisse Risikobereitschaft. Man braucht ein bisschen Abenteuerlust, um mit den Ungewissheiten umgehen zu können.
Die Fragen stellte Dr. Corinna Tomberger, Stellvertreterin der zentralen Frauenbeauftragten und Referentin im Team Zentrale Frauenbeauftragte; Mitarbeit: Angelina Uhl, studentische Mitarbeiterin im Team Zentrale Frauenbeauftragte.