MINToring empfängt japanische Forscherinnen

Wie kann der Anteil an Schülerinnen, die sich für ein MINT-Studium entscheiden, erhöht werden? Welche Bildungssysteme unterstützen eine diverse Studien- und Berufswahl? Diese und weitere Fragen diskutierte das MINToring-Team der FU mit Mina Gota und Karolin Jiptner von der Yamagata University (Japan).

Das MINToring-Team der FU Berlin empfing Anfang September zwei Wissenschaftlerinnen der japanischen Yamagata University, die das Schülerinnenprogramm im Zuge eines ländervergleichenden Forschungsprojekts untersuchen. Ziel des Besuchs war die Erhebung qualitativer Daten zum MINToring-Programm. In Interviews befragten die Forscherinnen die Koordinatorinnen zur Programmkonzeption, zu der Verbindung von Schule und Universität und zu ihren Erfahrungen in der Arbeit mit den Schülerinnen.

Das MINToring-Programm zielt mit verschiedenen Angeboten wie dem Betriebspraktikum, dem Girls’Day und Workshops darauf ab, Schülerinnen die MINT-Fächer nahezubringen, ihr Interesse dafür zu stärken und sie zu einem späteren Studium in diesem Bereich zu motivieren. Audrey Houillon, Projektkoordinatorin Physik/Informatik, fasst die wichtigsten Aspekte des Programms zusammen: „Unser Ziel ist es, Schülerinnen zu bestärken, einen direkten Austausch mit weiblichen Vorbildern zu ermöglichen und einen geschützten Experimentierraum für MINT zu eröffnen, den die meisten Schulen Mädchen und jungen Frauen nicht bieten.“ Darüber hinaus kann das Programm bereits im frühen Stadium den Netzwerkaufbau unter MINT-interessierten Schülerinnen fördern, die sich gegenseitig austauschen und bestärken können.

MINT-Studentinnengewinnung im internationalen Vergleich

Dieser Ansatz weckte das Interesse des japanischen Forschungsteams, das international vergleichend untersucht, welche Bildungssysteme geeignet sind, mehr Frauen für ein MINT-Studium zu gewinnen. Das Forschungsprojekt „Expanding Female Students‘ Career Choices in the STEM Fields through a New Model of Articulation from High School to College – A Four – country Comparison“ läuft über vier Jahre unter der Leitung von Ginko Kawano. Die Soziologieprofessorin mit dem Schwerpunkt Bildung, Gender und Naturwissenschaften besitzt eine langjährige Forschungsexpertise im Bereich Frauen und MINT. Der englische Begriff STEM im Titel des Forschungsprojekts steht für Science, Technology, Engineering, Mathematics und ist das englische Pendant zum deutschen Akronym MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik).

Das Forschungsteam untersucht MINT-Bildungsprogramme im Übergang von Schule und Hochschule in vier Ländern – Deutschland, Singapur, China und den USA – im Vergleich mit Japan. In Deutschland wurden dafür rund 20 Interviews mit Wissenschaftler*innen und Koordinator*innen von Bildungsprogrammen durchgeführt. Janina Richter, MINToring-Koordinatorin in den Geowissenschaften, erklärt, weshalb die japanischen Kolleginnen Mina Goto und Karolin Jiptner das MINToring-Programm für ihre Studie ausgewählt haben: „Sie haben nach Universitäten in Berlin gesucht, die MINT-Ausbildungsprogramme für Schülerinnen anbieten. Unser Programm zielt darauf ab, Brücken zwischen Schule und Universität zu bauen, den Schülerinnen Optionen für die Studienwahl aufzuzeigen und sie darin zu bestärken, ein MINT-Fach an der Universität zu studieren.“

Pädagogische Angebote in der Phase zwischen Schule und Studienbeginn, so die These des Forschungsprojekts, bilden einen entscheidenden Faktor für die Entscheidung von Frauen für ein MINT-Studienfach. Erste Ergebnisse der Forschung zu der University of Michigan und der University of California wurden bereits veröffentlicht.

Interviews mit Koordinatorinnen und studentischen Mitarbeiterinnen

Neben der konzeptionellen Seite des MINToring-Programms interessierten sich Mina Goto und Karolin Jiptner für den Aufbau des Teams und die Koordination der Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und den Wissenschaftler*innen der beteiligten Fachbereiche. Beide Forscherinnen sind an der Yamagata University tätig, aber auf verschiedene Disziplinen spezialisiert. Mina Goto arbeitet im Bereich Regionale Erziehung und Kultur mit dem Schwerpunkt naturwissenschaftliche Bildung, Chemie und Kindergartenpädagogik. Ihr fachlicher Hintergrund setzt sich aus Biologie, Chemie und Pädagogik zusammen und ihre Motivation ist es, den Anteil von Frauen in der naturwissenschaftlichen Forschung zu erhöhen.

Das MINToring-Team der FU mit den beiden Gastwissenschaftlerinnen der Yamagata University.
V.l.: Janina Richter, Karolin Jiptner, Mina Goto, Audrey Houillon, Cynthia Heiner und Ina Fendel, Foto: MINToring

Ihre Kollegin Karolin Jiptner hat in Deutschland angewandte Naturwissenschaften studiert und in Japan im Bereich der Solarzellenforschung und -technik promoviert. Mittlerweile ist sie seit zwölf Jahren in Japan und arbeitet am internationalen Austauschzentrum der Yamagata University sowie in Umweltschutzprojekten der Fakultät für Ingenieurwissenschaften. Da es neben ihr kaum Frauen an der Fakultät gibt, möchte Jiptner die Gründe dafür erforschen, um Strukturen verändern und Karrierewege von Frauen erweitern zu können.

An den Interviews nahmen die drei MINToring-Koordinatorinnen Cynthia Heiner (Physik/Informatik), Audrey Houillon (Physik/Informatik) und Janina Richter (Geowissenschaften) teil sowie die beiden studentischen Mitarbeiterinnen Ina Fendel (Informatik) und Friederike von Raumer (Physik). Während die Koordinatorinnen, alle drei promovierte Naturwissenschaftlerinnen, in Einzelinterviews zu ihren individuellen Karrierewegen in der Wissenschaft und ihren Erfahrungen mit der Koordination befragt wurden, lag der Fokus bei den Studentinnen auf ihren Leistungsfächern in der Schule und der Motivation, ein naturwissenschaftlich-technisches Studium an der Freien Universität aufzunehmen.

Japan: Geringster Frauenanteil in MINT-Fächern

Das Forschungsprojekt ist von besonderer Relevanz, weil Japan hinsichtlich der Bildungsbeteiligung von Frauen an MINT-Studienfächern im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich abschneidet. Der aktuelle Bildungsreport der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bescheinigt Japan von allen 38 untersuchten Ländern den geringsten Frauenanteil in den MINT-Fächern. Der Bericht bezieht sich auf Daten von 2019, denen zufolge in Japan nur 16% Frauen ein Studium in MINT-Fächern begannen, in Deutschland waren es immerhin 21%.

Jenseits der Interviews bot der Besuch Gelegenheit zum Austausch über den Einfluss gesellschaftlicher Rollenerwartungen und vergeschlechtlichter Stereotype, die sich je nach kulturellem Kontext durchaus unterscheiden. „Das ist besonders spannend im internationalen Vergleich, da beispielsweise Physik im Iran oder Informatik in Malaysia stärker weiblich konnotiert ist“, so Audrey Houillon. Die gesellschaftlichen Erwartungen, da waren sich die Wissenschaftlerinnen einig, haben einen hohen Einfluss auf die Studienwahl. Auch im Gespräch mit Mina Goto und Karolin Jiptner sei das deutlich geworden, erklärt Janina Richter: „Sie haben von sehr traditionellen, familienfokussierten Lebensrealitäten in Japan berichtet, in denen die Care-Arbeit, Haushaltsaufgaben sowie die Kinderbetreuung fast ausschließlich von Frauen erledigt werden.“ Daran zeige sich, dass langfristige Veränderungen im MINT-Bereich nur durch einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel möglich sind. „Das MINToring-Programm kann in diesem komplexen System zwar nur an einzelnen Punkten ansetzen, aber dennoch wichtige Anstöße geben“, ist Audrey Houillon überzeugt. Beide Teams möchten die Kooperation fortsetzen und weiter im Austausch über Studentinnengewinnung für MINT-Fächer bleiben.

Merle Büter, Referentin im Team Zentrale Frauenbeauftragte

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