Seit 2. Februar ist es amtlich: Dr. Corinna Tomberger ist die zukünftige zentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Freien Universität. Die derzeitige Stellvertreterin der zentralen Frauenbeauftragten blickt mit Vorfreude auf ihren Amtsantritt am 16. April, erläutert ihr Amtsverständnis und Schwerpunkte ihrer kommenden Amtsperiode:
Seit April 2022 nehme ich als Stellvertreterin gemeinsam mit meiner Amtskollegin Katharina Schmidt vertretungshalber die Aufgaben der zentralen Frauenbeauftragten wahr. Als Teil dieses Tandems gestalte ich die Gleichstellungspolitik der Freien Universität schon jetzt in verantwortlicher Position. Das klare Wahlergebnis bestärkt den Weg, den wir bereits eingeschlagen haben und den ich im künftigen Amt fortführen möchte: Systematisch zu bilanzieren, wo die Freie Universität in Sachen Gleichstellung steht, Stärken und Schwächen zu identifizieren, Handlungsbedarfe klar zu benennen und im konstruktiven Austausch mit den zentralen Leitungsgremien und den Gleichstellungsakteur*innen der Universität nach nachhaltigen Lösungen zu suchen.
Auftrag: Chancengleichheit
Gesetzlicher Auftrag der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten ist, darauf hinzuwirken, die verfassungsrechtlich gebotene Chancengleichheit von Frauen in der Hochschule herzustellen und bestehende Nachteile für weibliche Mitglieder der Hochschule zu beseitigen. Qua Gesetz ist die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte nicht an fachliche Weisungen gebunden. Das deutet darauf hin, dass ihr gesetzlicher Auftrag konkret heißen kann, auch unbequeme Positionen zu vertreten, in Interessenkonflikten zu vermitteln und Kontroversen auszutragen. Das trifft ebenso auf die dezentralen Frauenbeauftragten zu. Eine gute Vernetzung – innerhalb der Universität wie auf Landes- und Bundesebene – ist eine wichtige Grundlage dafür, mit den herausfordernden Seiten des Amtes professionell umzugehen. Daher hat es für mich hohe Priorität, das universitätsweite Netzwerk der Frauenbeauftragten zu stärken.
Führend in der Gleichstellung
In den letzten Jahrzehnten hat die Freie Universität gleichstellungspolitisch enorme Fortschritte gemacht. Die scheidende zentrale Frauenbeauftragte Dr. Mechthild Koreuber hatte daran maßgeblichen Anteil. Bei ihrem Amtsantritt 1999 lag der Frauenanteil an unbefristeten Professuren noch unter 10 Prozent; 2012 wurde die 30-Prozent-Marke erreicht. Mechthild Koreuber wirkte als zentrale Frauenbeauftragte bereits früh darauf hin, Gleichstellungsziele in die Governance-Strukturen zu integrieren. Sie hat grundlegende Einrichtungen wie das Familienbüro der Universität, heute DCFAM, initiiert. Förderprogramme wie die W1- und W2-auf-Zeit-Frauenförderprofessuren zielten nicht nur auf individuelle Förderung, sondern auch auf die strukturelle Ebene ab. Gerade in Fächern mit geringem professoralen Frauenanteil trugen die Frauenförderprofessuren dazu bei, weibliche Kandidat*innen stärker ins Blickfeld zu rücken. Darüber hinaus sind Gleichstellungsindikatoren seit Langem in Steuerungsinstrumente wie die leistungsorientierte Mittelvergabe und Zielvereinbarungen integriert. Über lange Jahre war die Freie Universität in der Gleichstellung im bundesweiten Vergleich führend. In allen drei Runden des Professorinnenprogramms war sie erfolgreich, zuletzt mit dem Prädikat „Gleichstellung: ausgezeichnet!“. Dadurch konnten zusätzliche gleichstellungsfördernde Maßnahmen wie die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre realisiert werden.
Trotz ihrer Errungenschaften ist die Freie Universität zuletzt zurückgefallen, etwa im bundesweiten Hochschulranking nach Gleichstellungsaspekten 2021. Der Frauenanteil an Professuren hat sich über die letzten zehn Jahre nur sehr langsam erhöht. Berufungsverfahren geschlechtergerecht zu gestalten ist eine Voraussetzung, um in der Gleichstellung wieder in Führung zu gehen. Das sollte im Interesse der gesamten Universität sein; darauf zähle ich.
Update für Frauenförderung
Lange Zeit erfolgreiche Maßnahmen, etwa zur Frauenförderung, hat die Freie Universität nicht rechtzeitig an veränderte Rahmenbedingungen angepasst, daher sind sie inzwischen ausgelaufen. Das betrifft etwa das DREAM-Mentoring für Doktorandinnen und die befristeten Frauenförderprofessuren. Letztere stehen spätestens mit dem 2016 beschlossenen bundesweiten Tenure-Track-Programm auf dem Prüfstand. Mit der Einführung der Tenure-Track-Professur, die einen transparenteren, planbareren Karriereweg nach der Promotion bietet, sind befristete Professuren ohne Anschlusszusage kein Format mehr, das sich guten Gewissens als Frauenfördermaßnahme fortführen ließe. 2020 beschloss das Präsidium, das universitätseigene W2-Frauenförderprogramm nicht weiterzuführen. Nach der Novelle des Berliner Hochschulgesetzes 2021, die für Postdoc-Stellen grundsätzlich eine Anschlusszusage vorsieht, wurde auch das W1-Frauenförderprogramm an der Freien Universität nicht fortgeführt. Bislang ist diesen Programmen nichts Vergleichbares nachgefolgt. Allem voran braucht die Freie Universität daher ein breit angelegtes Förderprogramm für Wissenschaftlerinnen in der Qualifizierungsphase, Doktorandinnen wie auch Postdocs.
Pandemiebedingten Benachteiligungen entgegenwirken
Die Covid-19-Pandemie hat die Chancengleichheit der Geschlechter vor neue Herausforderungen gestellt. Kinderbetreuung, Homeschooling und digitale Lehre in den eigenen vier Wänden bedeuteten für Wissenschaftlerinnen mit Care-Aufgaben häufig, dass die eigene wissenschaftliche Weiterqualifizierung auf der Strecke blieb. Kinder, Corona, Karriereknick? – unter diesem Motto luden wir vom Team Zentrale Frauenbeauftragte im Frühjahr 2021 zur Diskussion darüber ein, wie die Studien- und Arbeitsbedingungen für Hochschulangehörige mit Familienaufgaben in der Pandemie verbessert werden könnten. Vereinbarkeit vertagt? fragten wir ein halbes Jahr später in diesem Blog, da entsprechende Maßnahmen weiterhin ausblieben. Mit der Podiumsdiskussion Publikationsbremse Pandemie bringen wir das Thema nun erneut in die Hochschulöffentlichkeit. Bei der Konzeption neuer Maßnahmen wird systematisch das Augenmerk auf jene zu richten sein, deren wissenschaftliche Laufbahn durch Care-Arbeit unter Pandemiebedingungen stark beeinträchtigt wurde.
Geschlechtergerechtigkeit in MINT herstellen
In vielen MINT-Fächern sind Frauen schon auf der Ebene der Studierenden unterrepräsentiert. Daher sind Gleichstellungsmaßnahmen für alle Qualifikationsstufen notwendig, um Studentinnen zu gewinnen und zu halten und Wissenschaftlerinnen auf den weiteren Karrierestufen zu fördern. Um Frauen längerfristig in den MINT-Fächern zu halten, gilt es, die Fachkulturen für vielfältige Perspektiven und Hintergründe zu öffnen. Die Sensibilisierung für Gender und Diversity kann dazu ebenso beitragen wie eine strukturelle Integration von Geschlechterforschung in die Fächer. Auch in diesem Feld hat die Freie Universität einiges aufzuweisen: etwa das MINToring-Programm, die Arbeitsgruppen Gender Studies in der Mathematik und Wissenschafts- und Geschlechterforschung der Physik oder die Gastprofessur Science of Science mit Schwerpunkt Gender & Diversity im Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie. Der Großteil dieser Aktivitäten ist jedoch befristet. Eine dauerhafte Verankerung ist erforderlich, um in diesem Bereich längerfristig Fortschritte zu erzielen. Dafür braucht es ein nachhaltiges, fachübergreifendes Konzept für Geschlechtergerechtigkeit in den MINT-Fächern, mit Unterstützung auf zentraler Ebene.
Entgeltgerechtigkeit erreichen
Insbesondere für die Gruppe der Mitarbeiterinnen in Service, Technik und Verwaltung ist Entgeltgerechtigkeit ein zentrales Thema, allem voran in den weitgehend von Frauen geführten Hochschulsekretariaten. Gerade bei langjährigen Mitarbeiterinnen wird die niedrige Eingruppierung dem Wandel des Berufsbildes der Sekretariatsbeschäftigten hin zu einer vielseitigen Office-Managerin vielfach nicht gerecht. Neben Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten braucht es eine institutionelle Gesamtstrategie, um Entgeltgerechtigkeit herzustellen und das Berufsfeld Hochschulsekretariat aufzuwerten. Auch hier gibt die bundesweite Vernetzung wichtige Impulse: Mit ihrer Kampagne „Fairnetzt Euch!“ macht die Kommission der Mitarbeiterinnen in Technik und Verwaltung der bukof seit Jahren auf die schwierigen Arbeitsbedingungen in Hochschulsekretariaten aufmerksam und tritt für Entgeltgerechtigkeit in diesem Bereich ein. Deren Handlungsempfehlungen für Hochschulleitungen bieten eine gute Grundlage, um darauf hinzuwirken, dass die Freie Universität ihrem Anspruch gerecht wird, eine gute Arbeitgeberin zu sein.
Controlling und Monitoring ausweiten
Die Freie Universität verfügt seit 2011 über ein Diversity- und Gender-Controlling; denoch fehlt an vielen Stellen die empirische Basis, um den Stand der Gleichstellung differenziert einschätzen zu können. Viele Daten werden nicht regelhaft erhoben. Inwieweit hat die leistungsorientierte Mittelverteilung nach Gleichstellungsindikatoren eine steuernde Wirkung? Wie ist das Verhältnis von weiblichen Bewerberinnen für Professuren zu Listenplatzierten und Neuberufenen? Wie viele Wissenschaftlerinnen, die im Talent Scouting für eine Professur gelistet werden, bewerben sich letztendlich? Wie groß sind der Gender Publication Gap und der Gender Pay Gap an der Freien Universität? Wie hoch ist der Frauenanteil an MINT-Studierenden ohne Lehramtsstudierende? Wie viele Sekretariatskräfte sind universitätsweit in der Entgeltgruppe 6 eingruppiert? Das sind nur einige Beispiele für offene Fragen.
Um die Gleichstellung weiter voranzubringen, ist es erforderlich, Defizite zu identifizieren, deren Ursachen zu analysieren und die Wirkung von Instrumenten und Maßnahmen zu evaluieren. Das geschieht bislang nur in Ansätzen. Die laufende externe Evaluation der Gleichstellungsstrukturen bietet die Chance, Standards für künftige Controlling- und Monitoring-Prozesse zu setzen. Darüber hinaus wäre zu wünschen, dass sie die Steuerungsinstrumente unter die Lupe nimmt, um bei Bedarf nachzujustieren.
Mehr Wertschätzung und Ressourcen für Frauenbeauftragte
Inzwischen ist es oft schwierig, Interessierte zu finden, die bereit sind, für das Amt der Frauenbeauftragten auf dezentraler Ebene zu kandidieren. Das hat nicht zuletzt mit den Arbeitsbedingungen zu tun: Beteiligung und Ressourcen sind hier häufig unzureichend. Nicht selten mangelt es auch an Wertschätzung. Die dezentralen Frauenbeauftragten, zukünftig Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, sind jedoch die Basis einer erfolgreichen Gleichstellung an der Hochschule. Sie kennen ihre jeweiligen Bereiche, die spezifischen Herausforderungen, sie geben wichtige Impulse für bedarfsgerechte Konzepte und Maßnahmen für Gleichstellung. Wird ihre Expertise systematisch einbezogen und wertgeschätzt, gewinnt die Organisation als Ganzes. Diese Perspektive möchte ich stärken.
An dieser Stelle hilft uns das novellierte Berliner Hochschulgesetz. Es sieht mehr personelle Ressourcen auf dezentraler Ebene vor. Zukünftig ist etwa auch für Stellvertreterinnen regelhaft eine Freistellung vorgesehen, d.h. sie werden von Dienstaufgaben freigestellt, um ihrem Amt nachgehen zu können. Die Umsetzung des novellierten Berliner Hochschulgesetzes gilt es zu nutzen, um die Ressourcen für die Gleichstellung in den Bereichen bedarfsgerecht auszubauen.
Dr. Corinna Tomberger, Stellvertreterin der zentralen Frauenbeauftragten, zukünftige zentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Freien Universität