Antidiskriminierung und Diversität „@school“

Das neue Projekt „@school“ der Toolbox Gender und Diversity in der Lehre soll Diversitätsbewusstsein in der Lehrkräftebildung verankern. Das Angebot möchte Dozierende dabei unterstützen, zukünftige Lehrer*innen gut auf einen diskriminierungskritischen Umgang mit heterogenen Schulklassen vorzubereiten. Von der Umsetzung berichten die Initiatorinnen Jana Gerlach und Claudia Sommer im Interview.

Die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre startete 2015 als gemeinsames Projekt des Margherita-von-Brentano-Zentrums (MvBZ) und des Teams Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität. Seit 2023 ist die Toolbox vollständig am MvBZ angesiedelt. Das Projekt bietet umfangreiche Informationen, Anregungen und Ressourcen zu gender- und diversitätsbewusster Lehre und folgt dabei einem macht- und herrschaftskritischen Diversity-Ansatz, der intersektionale Ungleichheiten adressiert und den Abbau von Diskriminierung zum Ziel hat.

Ergänzt wird die Toolbox nun durch das Projekt „@school“, das die Soziologin Jana Gerlach und die Erziehungswissenschaftlerin Claudia Sommer für die Lehrkräftebildung an der Freien Universität – und darüber hinaus – konzipiert haben. Mit ihnen sprach Eva Daria Ernst, Lehramtsstudentin an der FU, über Einführung und Umsetzung des Projekts.

Die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre wird um ein Teilprojekt unter dem Namen „@school“ erweitert. Um was handelt es sich dabei genau und was ist neu?

Jana Gerlach: Die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre gibt es an der FU seit acht Jahren. Es handelt sich um eine sogenannte Open Educational Ressource (OER), also eine Online-Ressourcensammlung für alle, die an Hochschulen unterrichten und ihre Lehre gender- und diversitätsbewusster gestalten wollen, sowohl inhaltlich als auch methodisch. Zusätzlich zur Webseite bieten wir Workshops an und arbeiten mit den Fachbereichen und anderen Akteur*innen der Uni zusammen, die sich für gute Lehre einsetzen, wie z.B. dem Dahlem Center for Academic Teaching.

Ziel ist, Antidiskriminierung und Diversitätsbewusstsein stärker im Lehramtsstudium zu verankern

Claudia Sommer: Unter dem Namen „@school“ wird das Projekt nun mit speziellem Fokus auf die Lehrkräftebildung ergänzt. In einem ersten Schritt handelt es sich um eine Erweiterung der Toolbox durch einen neuen Menüpunkt auf unserer Webseite mit entsprechenden Informationen und Materialien für Dozierende aus der Lehrkräftebildung. Ziel ist, Antidiskriminierung und Diversitätsbewusstsein stärker im Lehramtsstudium zu verankern.

Wer ist daran beteiligt, und über welchen Zeitraum ist das Projekt geplant?

Jana Gerlach: Die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre ist zwar am Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung angesiedelt, als Projektverantwortliche stehen wir aber im Austausch mit der Dahlem School of Education, die an der Freien Universität zuständig für die Koordination und Weiterentwicklung des Lehramtsstudiums ist. Für die Erstellung der Materialien arbeiten wir zudem mit Expert*innen aus den Fachdidaktiken zusammen, die das Thema Diversität in unterschiedlicher Form bereits in ihre Lehre integrieren und damit auch eine Vorreiterrolle einnehmen. Darüber hinaus stehen wir im Kontakt mit Akteur*innen außerhalb der Universität, die schon lange im Bereich Antidiskriminierung an Schulen aktiv sind.

Claudia Sommer: Die Projektmittel für das Teilprojekt „@school“ laufen bis Februar 2025. Insgesamt ist die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre mit zwei halben Stellen besetzt. Eine davon ist an das Projekt „@school“ gebunden.

Was war die Motivation zu diesem Projekt und was soll damit an der Hochschule und indirekt an Schulen erreicht werden? 

Jana Gerlach: Aus der Bildungsforschung wissen wir, dass bestehende soziale Ungleichheiten durch das deutsche Schulsystem nicht aufgehoben, sondern eher reproduziert werden, wie etwa der Nationale Bildungsbericht 2022 zeigt. Das bedeutet, dass bestimmte Gruppen von Kindern – z.B. aus sogenannten Arbeiterfamilien oder aus Familien der ersten und zweiten Einwanderergeneration – von Beginn an geringere Chancen haben, in der Schule zu bestehen. Die Schule ist für viele also kein Ort, an dem sie wachsen und sich ausprobieren können, sondern eher ein Ort, an dem sie Ausgrenzung erfahren. Und das liegt in erster Linie nicht an den fehlenden Fähigkeiten dieser Kinder, sondern daran, an wem Schulunterricht in der Regel ausgerichtet ist. Dies zu erkennen bedeutet, das bestehende Schulsystem kritisch zu hinterfragen: Welche Vorstellungen von Leistung und Kompetenz prägen gängige Prüfungs- und Bewertungsstandards? Wessen „Sprache“ im Sinne von Ausdrucksweise und Terminologie wird im Unterricht gesprochen, welche Perspektive gilt als „normal“ und „richtig“ und welche als Abweichung?
Tatsächlich wird „Akzeptanz von Vielfalt“ im Berliner Rahmenlehrplan als eine von 13 übergeordneten Kompetenzen genannt, die Lehrer*innen in ihrem Unterricht vermitteln sollen. Auch das Berliner Lehrkräftebildungsgesetz nennt den Umgang mit Heterogenität und gesellschaftlicher Vielfalt als Kernkompetenz, die angehende Lehrkräfte während ihres Studiums entwickeln sollen. Sowohl die genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch die gesetzlichen Vorgaben spiegeln sich bislang aber nicht ausreichend in den Lehrplänen des Lehramtsstudiums an den Universitäten wider.

Die Schule ist für viele Kinder kein Ort, an dem sie wachsen und sich ausprobieren können, sondern eher ein Ort, an dem sie Ausgrenzung erfahren

Claudia Sommer: Auch von der Kultusministerkonferenz der Länder gibt es bereits seit 1996 Empfehlungen, dass Schulen eine aktive Rolle in der Bekämpfung von Diskriminierung einnehmen sollen und dafür auch ihre eigenen Strukturen und Regularien überdenken müssen.
Die Schwierigkeit aus unserer Sicht ist, dass es aufgrund des komplexen Studienaufbaus keine systematische Verortung von Themen wie Diversität und Antidiskriminierung im Lehramtsstudium gibt. Es gibt sehr engagierte Personen in der Erziehungswissenschaft und den Fachdidaktiken, die sich dem Thema aus ihrer fachdidaktischen Perspektive annehmen. Letztlich ist es von der Fächerkombination und Seminarwahl abhängig, ob Studierende mit diesen Themen in Berührung kommen oder nicht, obwohl es eigentlich Bestandteil einer pädagogischen Ausbildung sein sollte. Es ist auch so, dass Lehrende zwar Expert*innen in ihrem jeweiligen Fachgebiet sind, aber nicht unbedingt auch noch Diversitätsthemen abbilden können. Für den Arbeitsort Schule, an dem tagtäglich unterschiedlichste Menschen zusammenkommen und ein chancengerechter Bildungsauftrag besteht, ist dies aber unbedingt notwendig. Die Toolbox möchte bereits bestehende Wissensstände und Ressourcen aufzeigen und sichtbar machen.

Angesprochen sind Lehrende in der Bildungs- und Erziehungswissenschaft, in den Fachdidaktiken und auch Lehrende der einzelnen Fächer

Für welche Zielgruppe wurde das Projekt konzipiert?

Claudia Sommer: Die Veränderung der Lehrkräftebildung wird ja immer wieder und aktuell diskutiert, auch mit Blick auf die Frage, welche Inhalte mit aufgenommen werden sollten und wie die Lehrkräftebildung den vielfältigen Anforderungen an Schule gerecht werden kann. Der neue Menüpunkt „@school“ auf unserer Webseite richtet sich an Hochschullehrende, insbesondere der FU, die in der Lehrkräftebildung tätig sind. Eine Besonderheit des Studiums im Lehramt ist, dass die Studierenden sowohl in den Erziehungs- und Bildungswissenschaften als auch in den jeweiligen Fachdidaktiken und in ihren ausgesuchten Fächern studieren. Letzteres nimmt einen großen Teil des Studiums ein. In den einzelnen Fächern ist den Lehrenden oft nicht bewusst, dass es sich bei einzelnen Studierenden um Lehramtsstudierende handelt, die das Fach für den Unterricht an Schulen studieren. Angesprochen sind also Lehrende in der Bildungs- und Erziehungswissenschaft, in den Fachdidaktiken und wenn möglich auch Lehrende der einzelnen Fächer.

Gibt es nicht bereits viele Materialien zu Antidiskriminierung an Schulen?

Claudia Sommer: Tatsächlich gibt es bereits viele Handreichungen zu unterschiedlichen Diskriminierungsformen von außerschulischen Bildungsinstitutionen, die praxisnah auf die Institution Schule ausgerichtet sind. Dennoch gibt es wenig Material, dass sich direkt an Hochschuldozierende in der Lehrkräftebildung richtet. Unsere Idee ist, dass Materialien, die für die Arbeit an Schulen vorgesehen sind, auch an der Hochschule genutzt und in Seminaren gemeinsam mit Studierenden erörtert, diskutiert und ausprobiert werden können. Eine Herausforderung bleibt es, Ressourcen bereitzustellen, die von Dozierenden konkret für ihre Fächer oder Fachdidaktiken genutzt werden können. Sekundär können von der Toolbox zukünftig auch weitere Personengruppen profitieren, z.B. Lehrkräfte an Schulen, Studierende, die bereits an der Schule arbeiten oder sich auf das Praxissemester vorbereiten.

Neben den Dozierenden sollen die zukünftigen Lehrer*innen besser darauf vorbereitet sein, in heterogenen Klassen gutes Lernen für alle zu ermöglichen

Jana Gerlach: Die geplante Ressourcensammlung ist auch als Impuls zu verstehen. Inwieweit Lehrende diesen aufgreifen und z.B. ihre eigenen fachlichen und methodischen Inhalte möglicherweise an der einen oder anderen Stelle mit Blick auf Diversität ergänzen oder überarbeiten, bleibt zu sehen. Neben den Dozierenden selbst sollen letztlich die Studierenden bzw. zukünftigen Lehrer*innen profitieren, indem sie hoffentlich zukünftig immer besser darauf vorbereitet sind, in heterogenen Klassen gutes Lernen für alle zu ermöglichen.

Welche Arten von Ressourcen und Materialien wird man in dem neuen Bereich der Webseite „@school“ finden, und sind weitere Angebote geplant, die über die Bereitstellung von Online-Ressourcen hinausgehen?

Jana Gerlach: Wir planen momentan, drei Kategorien von Ressourcen bereitzustellen. Als erstes geht es darum, die Relevanz von Gender und Diversity in der Lehrkräftebildung zu vermitteln, z.B. durch wissenschaftliche Erkenntnisse und Berichte zu bestehenden Diskriminierungsformen in der Schule und durch die Verlinkung auf  bestehende gesetzliche Vorgaben, Empfehlungen und Richtlinien.  Zweitens möchten wir gelungene Beispiele aus den Fachdidaktiken im Sinne von good practice vorstellen. Denn tatsächlich gibt es schon sehr innovative diversitätssensible Materialien, die anderen Lehrenden als Inspiration dienen könnten.

Claudia Sommer: In der dritten Kategorie wollen wir, wie schon erwähnt, einen Fundus mit schon vorhandenen Materialien bereitstellen. Das kann von Kontakten zu Anlauf- und Beratungsstellen, methodischen Handreichungen bis hin zu Forschungsberichten und Gutachten im Arbeitsfeld von Schule und Diversität reichen.
Wenn das Angebot auf der Webseite steht, könnten zukünftig auch begleitende Workshops für Dozierende in der Lehrkräftebildung als ein weiteres Angebot hinzukommen. Mit der Toolbox Gender und Diversity in der Lehre bieten wir über das Dahlem Center for Academic Teaching der FU bereits Workshops an. Diese haben die Sensibilisierung für die eigene Lehre, die Verwendung geschlechterreflektierter Sprache, sowie die Gestaltung von diversitätsbewussten Formaten in der Lehre als Themeninhalte.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft des Projekts „@school“? Woran würde sich der Erfolg des Projekts zeigen?

Jana Gerlach: Wir sind uns darüber im Klaren, dass es aufgrund der geteilten Verantwortung zwischen Senat und Universitäten schwierig und langwierig ist, übergeordnete Themen in der Lehrkräftebildung zu verankern. Hinzu kommt, dass es eine Vielzahl weiterer Querschnittsthemen gibt, z.B. digitale Kompetenz, die ebenfalls berücksichtigt werden wollen. Dennoch würden wir uns sehr freuen, wenn wir durch die Vernetzung und den Austausch mit Akteur*innen im Feld auch einen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung nehmen könnten. Tatsächlich findet dieser Austausch bereits statt. Momentan arbeiten wir z.B. mit einer Expert*innengruppe daran, ein Wissensnetz der Bezüge und Schnittmengen der Querschnittsthemen Demokratiebildung, Inklusion, Diversität, Gender und Bildung für nachhaltige Entwicklung auszuarbeiten, um von dort aus darüber nachzudenken, wie der gemeinsame Kern noch stärker in der Lehrkräftebildung abgebildet werden kann.

Die Geprächspartnerinnen

Jana Gerlach, promovierte Soziologin, seit 2022 Mitarbeiterin des MvBZ, betreut dort zusammen mit Claudia Sommer die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre. Mit Antidiskriminierung und Diversität hat sie sich nicht nur wissenschaftlich beschäftigt, sondern auch als Referentin einer Forschungsorganisation und in der Politikberatung. Im Bereich Schule ist sie seit vielen Jahren ehrenamtlich aktiv.

Claudia Sommer ist seit 2023 Mitarbeiterin des MvBZ für die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre. Sie ist Erziehungswissenschaftlerin, freiberufliche Bildungsreferentin und Prozessbegleiterin in der frühkindlichen Bildung. Ihre Themenfelder sind geschlechterreflektierte Pädagogik, Diversität, Intersektionalität, Antidiskriminierung und Klassismus. Seit vielen Jahren ist sie Lehrbeauftragte der ABV Gender- und Diversitykompetenz des MvBZ. Darüber hinaus war sie langjährig als Lehrkraft in Fachschulen für Sozialpädagogik in der Ausbildung von Erzieher*innen tätig.

Eva Daria Ernst, Lehramtsstudentin und zuletzt Praktikantin im Team Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität.

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