Was machen Bibliothekarinnen auf Reisen? Sie besichtigen Bibliotheken! Unsere Kollegin Elena Bolotina hatte die Gelegenheit, die Bibliothek der Orientalischen Fakultät der St.-Petersburger Universität zu besuchen. Sie hat uns den folgenden Bericht und viele Fotos mitgebracht.
Die Bibliothek der Orientalischen Fakultät der St.-Petersburger Universität
von Elena Bolotina
In April war ich eine Woche lang in Sankt Petersburg, weil mein Vater seinen 83. Geburtstag feierte.
Auf der Geburtstagsfeier traf ich meinen Cousin, der als Dozent an der Staatsuniversität lehrt, und nach kurzem Gespräch ergab sich die Möglichkeit, die Bibliothek der Orientalischen Fakultät zu besuchen. Die Bibliotheksleiterin war sogar bereit, uns eine kleine Führung zu geben und uns die seltenen Schätze und Raritäten dieser Bibliothek zu zeigen. Die Bibliothek befindet sich auf 600 m² im Hauptgebäude der Universität und hat sieben hauptberufliche Mitarbeiter. Es handelt sich um die älteste Bibliothek von St. Petersburg und die wohl wertvollste Aufbewahrungsstätte Russlands für Literatur über den Orient, die um die 295.00 Exemplare in mehr als hundert Sprachen beherbergt. Darunter seltene Manuskripte, Holzschnitte und mehr als 60.000 äußerst seltene Bücher, die vor 1900 erschienen sind.
Die orientalische Abteilung der Zentralbibliothek der Universität wurde im Jahr 1819 gegründet. Zur Zeit der Gründung der Orientalischen Fakultät (1855) umfasste der Bestand an Fachliteratur für europäische und orientalische Sprachen nicht mehr als 200 gedruckte Bände und Manuskripte, aber schon 1858 zählte die Wissenschaftliche Bibliothek 3500 Ausgaben. Dazu gehören die Bibliotheken der Kasaner Universität, des Kasaner Gymnasiums und des Institutes der Orientalischen Sprachen in Moskau.
Der Grundstein dieser einmaligen Sammlung wurde schon früh durch die damaligen Lehrkräfte gelegt. Dank der guten Kontakte der Dozenten zu ihren europäischen und überseeischen Kollegen gelang es, überaus seltene Ausgaben zu erwerben und somit die Sammlung um ein vielfaches zu bereichern. Ein nicht unerheblicher Teil der Bücher wurde von Buchliebhabern, Mäzenen, Bücherclubs und anderen kulturellen Organisationen gespendet.
Zu einer der frühsten Sammlungen der Bibliothek gehört die arabische, die zurzeit 27.500 gedruckte Bände und 1.426 Manuskripte in arabischer, persischer, osmanischer, türkischer, tatarischer und neuhebräischer Sprache umfasst.
Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde der Bestand durch eine ganze Reihe einzigartiger Bücher privater Buchsammler ergänzt. Unter ihnen die Sammlung des Orientalisten, Turkologen, Ethnografen und Archäologen V. V. Radlow (1837 – 1918). Zu ihr gehören die eigenen Werke des Gelehrten und auch jene Bücher, die während seiner zahlreichen Expeditionen in den verschiedenen Gebirgen des Altai und Westsibiriens erworben wurden.
Zum Bestand der Abteilung gehören auch die Bücher des renommierten Professors der türkisch-tatarischen Literatur, dem Historiker und Philologen I. N. Beresin (1818 – 1896), auch bekannt als Herausgeber des „Russischen enzyklopädischen Wörterbuches“. Die wertvolle Sammlung an chinesischen Manuskripten, Schriften und Büchern wurde der Universität von dem im Fernen Osten tätigen Geschäftsmann und Mäzen M.G. Schevelew (1847 – 1903) geschenkt, einem großen Kenner der chinesischen Schriftsprache und der Geschichte Chinas.
Aber auch einzigartige Sammlungen wie die des Professors I. P. Minajew (1840 – 1890), die er während seiner Reisen durch die Länder Europas sowie während des Aufenthaltes in Indien und Birma erweiterte, haben den Bestand der Bibliothek ungeheuer bereichert. Überaus seltene Druck- und handschriftliche Dokumente von chinesischen, mongolischen und mandschurischen Verfassern über die Kultur des Lamaismus wurden vom Professor A. M. Posdnejew (1851 – 1920) überreicht.
Die einzigartige Sammlung von japanischen Xylographien und Manuskripten wurde vom Prinzen Arisugawa Mia Taruchito- sinno (1835 – 1895) geschenkt.
Mit der Zeit stieg der Wert der gesammelten Werke enorm und nachdem im Zweiten Weltkrieg die private Bibliothek von Prinz Arisugawa abbrannte, zählt nun die Sammlung der Sankt Petersburger Universitätsbibliothek zu einer der umfangreichsten und wertvollsten auf diesem Gebiet. Nicht zuletzt durch die äußerst bemerkenswerte Sammlung des Professors Baron Viktor R. Rosen, die er 1908 spendete. Sie umfasst rund 3575 Titel über orientalische Sprachen. Am 18. Oktober 1908 wurde die Fakultät der orientalischen Sprachen nach dem eben genannten Spender benannt.
In den Nachkriegsjahren gab es zur Komplettierung der Bibliothek international einen Austausch von Büchern mit China, Nordkorea, der Mongolei, Indien, Ägypten, Äthiopien und anderen Ländern.
Namenhafte Menschen wie V.V. Bartold, P.G. Bulgakow, O.B.Frolow, A. A.Gurjew und andere verbrachten hier ihre Zeit mit dem Studium des Erbes des Orients.
Noch sind nicht alle Schätze der Bibliothek elektronisch erschlossen und damit der Nachwelt zugänglich gemacht, denn es fehlen Experten, die die alten Schriften lesen können. So werden zum Beispiel Spezialisten für Altchinesisch gesucht, die die alten Katalogkarten entziffern können.
Im Innenhof der Universität sind viele Skulpturen aufgestellt. Diese Bank der Bildhauer Olga Sagakon und Dmitry Chebotarew aus dem Jahr 2006 zeigt Engel und Teufel aus dem Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow. Wenn man sich auf die einladende Kuhle setzt, flüstern einem die beiden Gestalten gleichzeitig ihre Botschaften ins Ohr. Der arme Zuhörer wird dadurch völlig verwirrt – vor allem in Liebesdingen! Deshalb sieht man nie jemanden auf dieser Bank sitzen.