Der Nobelpreis für Literatur geht in diesem Jahr an Kazuo Ishiguro, wie am Donnerstag das Nobelpreis-Komitee in Stockholm bekannt gab. Der ursprünglich in Japan geborene, englische Schriftsteller habe in seinen „Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat“, so die offizielle Begründung.
(Bild: Mariusz Kubik, Lizenz: GFDL/CC-BY-SA-3.0-migrated/CC-BY-2.5)
Der Sohn eines Ozeanografen wurde im japanischen Nagasaki geboren, wuchs aber ab 1960 bedingt durch einen Arbeitsplatzwechsel des Vaters in Guildford, Surrey, in der Nähe von London auf. Ishiguro, der ursprünglich Popmusiker werden wollte, studierte an der Universität von Kent Philosophie und Anglistik. 1980 erwarb er an der University of East Anglia einen Master in „creative writing“, wo sein Mentor Malcolm Bradbury war. Ishiguro selbst gab an, sich nicht als Japaner zu verstehen. Er sieht seine literarischen Vorbilder in der westlichen Literatur, vor allem bei Dostojewski und Tschechow (vgl. Autorenprofil im KLfG).
Nachdem Ishiguro als Sozialarbeiter gearbeitet hatte, widmete er sich ab 1983 ganz seiner Karriere als Schriftsteller. Trotz seines überschaubaren Œuvres von sieben Romanen, sowie einigen Kurzgeschichten und Drehbüchern, wird er heute zu den bedeutendsten englischsprachigen Autoren der Gegenwart gezählt. Bekannt ist er vor allem für seine „vielschichtige psychologische Ausleuchtung seiner Ich-Erzähler, die zwischen Selbstbetrug und Selbsterkenntnis mit ihren Erinnerungen ringen“ (vgl. Kindlers Literatur-Lexikon). Dazu zählt der loyale und seinem Herrn ergebene Butler Stevens in Ishiguros drittem Roman The Remains of the Day (dt. Was vom Tage übrig blieb), der ihm 1989 den renommierten Booker Prize einbrachte. Das Buch wurde 1993 erfolgreich von James Ivory mit Anthony Hopkins und Emma Thompson in den Hauptrollen verfilmt.
Drei weitere Male stand Ishiguro auf der „Short List“ zum Booker Prize – mit dem in Japan angesiedelten Werk An Artist of the Floating World (Der Maler der fließenden Welt, 1986), der in Shanghai spielenden Detektivgeschichte When We Were Orphans (Als wir Waisen waren, 2000) sowie mit Never Let Me Go (Alles, was wir geben mussten, 2005). Letztgenanntes Buch über ein Internat, in dem menschliche Klone zum Zweck der Organspende aufgezogen werden, kam 2010 mit Carey Mulligan, Andrew Garfield und Keira Knightley auf die Kinoleinwand. Ishiguros bisher letzter Roman, The Buried Giant (Der begrabene Riese, 2015), spielt im kriegerischen Britannien des 5. Jahrhunderts und stellt ein Elternpaar in den Mittelpunkt, das sich auf die Suche nach seinem Sohn begibt.
Literatur von Kazuo Ishiguro, besonders seine englischsprachigen Romane, lässt sich auch in den Bibliotheken der FU finden, vor allem in der Philologischen Bibliothek.
Die Auszeichnung an Ishiguro kann durchaus als Überraschung gewertet werden. Bei bekannten Wettanbietern hatten in den vergangenen Tagen Namen wie der Kenianer Ngũgĩ wa Thiong’o, der Japaner Haruki Murakami oder die Kanadierin Margaret Atwood vorne gelegen. Nach der Preisvergabe an den US-amerikanischen Singer-Songwriter Bob Dylan (2016) und die weißrussische Journalistin und Autorin Swetlana Alexijewitsch (2015) hatten Experten eine diesmal eher konservativere Wahl prognostiziert. Ishiguro passt als 62-jähriger, englischsprachiger Romanautor nahezu perfekt in eine Analyse, die die NZZ letzte Woche unter dem Titel Was den typischen Literaturnobelpreisträger auszeichnet veröffentlichte.
Die Preisübergabe an die Nobel-Laureaten erfolgt alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels.