Am Mittwoch sind die renommiertesten Literaturpreise aus dem Vereinigten Königreich und Frankreich vergeben worden. Den britischen Booker Prize erhielt der Südafrikaner Damon Galgut für seinen Roman »The Promise«, während sein senegalesischer Autorenkollege Mohamed Mbougar Sarr für »La plus secrète mémoire des hommes« (dt. „Die geheimste Erinnerung der Menschen“) mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde.
Prix Goncourt
Den Anfang machten kurz vor 13:00 Uhr die Franzosen. War der letztjährige Sieger Hervé Le Tellier (»L’anomalie«) aufgrund der Pandemie noch per Videochat verkündet worden, traf sich die zehnköpfige Jury um Präsident Didier Decoin wieder am altehrwürdigen Pariser Versammlungsort – dem Restaurant Drouant, nahe der Opéra Garnier. Mit sechs Stimmen sicherte sich Mohamed Mbougar Sarr mit »La plus secrète mémoire des hommes« (vormerkbar via Primo) die symbolisch mit 10 Euro dortierte Auszeichnung. Es ist das erste Mal, dass ein senegalesischer Autor triumphiert. Hundert Jahre zuvor hatte mit dem von den Antillen stammenden René Maran (»Batouala«) erstmals ein schwarzer Schriftsteller Frankreichs wichtigsten Literaturpreis erhalten.
Ein Sieg des erst 31-jährigen Sarr war von der Literaturkritik erwartet worden. Sein vierter Roman, gewidmet dem malischen Autor Yambo Ouologuem (1940–2017), stellt mit Diégane Latyr Faye scheinbar ein Alter Ego in den Mittelpunkt, das in Paris Recherchen zu einem mysteriösen Autor namens T. C. Elimane betreibt. Dieser als „schwarzer Rimbaud“ betitelte Schriftsteller hatte 1938 mit der Veröffentlichung des Buches »Le labyrinthe de l’inhumain« („Das Labyrinth des Unmenschen“) einen Skandal ausgelöst und war seitdem aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden.
Parallel reflektiert die Hauptfigur Faye das Wesen der Literatur, u. a. aus dem Exil heraus. La plus secrète mémoire des hommes macht es dabei dem Leser nicht ganz einfach. Das Werk besteht aus verschiedenen Textsorten, so aus Erzählung, Arbeitstagebuch, Zeitungsausschnitten, Interviews und Zitaten. In Frankreich wurde das Buch fernab der bekannten Verlagshäuser in Kooperation mit dem unabhängigen Pariser Verleger Philippe Rey und dem senegalesischen Verlagshaus Jimsaan veröffentlicht. Übersetzungen von Sarr sind bislang noch nicht auf dem deutschen Buchmarkt erschienen, der Verlag Hanser sicherte sich aber die Rechte für eine hohe sechsstellige Summe an dem preisgekrönten Werk.
Sarr setzte sich gegen drei Konkurrenten der finalen „troisième sélection“ durch. Zum Teil ebenfalls via Primo vormerkbar:
- Christine Angot: »Le Voyage dans l’Est« (Flammarion)
- Sorj Chalandon: »Enfant de salaud« (Grasset) – in Erwerbung
- Louis-Philippe Dalembert: »Milwaukee Blues« (Éditions Sabine Wespieser)
(Sarrs Wikipedia-Artikel haben wir gestern ergänzt. Den gespendeten Text haben wir auch für dieses Posting verwendet)
Booker Prize
Ähnlich feierlich präsentierte sich die Verleihung des mit 50.000 Pfund (ca. 59.000 Euro) dotierten britischen Booker Prize. Hatte im Vorjahr Douglas Stuart (»Shuggie Bain«) die Auszeichnung per Videochat im heimischen Wohnzimmer zuerkannt bekommen, fieberten nun alle nominierten Autorinnen und Autoren gemeinsam im Radio Theatre der BBC dem Moment entgegen, wenn Jurypräsidentin Maya Jasanoff das Gewinnercover präsentierten sollte. Die fünfköpfige Jury hatte eigenen Bekunden zufolge jeden der nominierten Titel auf der finalen Shortlist dreimal gelesen.
Es setzte sich der favorisierte südafrikanische Schriftsteller und Dramatiker Damon Galgut durch, der bereits 2003 und 2010 auf der Shortlist gestanden hatte. Sein siebter Roman »The Promise« (vormerkbar via Primo) entstand nach einer Schaffenspause von fast sieben Jahren. Das knapp 300-seitige Werk folgt dem Niedergang der weißen südafrikanischen Bauernfamilie Swart ab Mitte der 1980er-Jahre. Im Mittelpunkt stehen vier Trauerfeiern, die verschiedene Jahrzehnte und Abschnitte in der Geschichte des Landes markieren. Dabei nimmt der Buchtitel Bezug auf die schwarze Bedienstete Salome, die ihr Leben lang für die Familie gearbeitet hat und ein eigenes Haus und eigenes Land versprochen werden sollte.
Galgut, 1963 in eine Juristenfamilie hineingeboren, wuchs in Pretoria auf, wo auch sein Roman spielt. Prägend für ihn war eine Krebserkrankung im Kindesalter. Während dieser Zeit habe er sich der Literatur zugewandt und nach seiner Genesung den Drang verspürt, selbst Schriftsteller zu werden. Bereits im Alter von 19 Jahren wurde sein erster Roman »A Sinless Season« veröffentlicht, der laut Kritischem Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur alle Elemente beinhaltete, die seine späteren Romane prägen sollten: „ein abgelegener Schauplatz, eine wild-abweisende Landschaft, selbstbezogene männliche Hauptfiguren – Eigenbrötler, Außenseiter –, physische wie strukturelle Gewalt und eine karge, präzise und unerbittliche Sprache“.
Galgut setzte sich gegen fünf Konkurrenten auf der Shortlist durch, zum Teil ebenfalls via Primo vormerkbar:
- Anuk Arudpragasam (Sri Lanka): »A Passage North«
- Patricia Lockwood (USA): »No One Is Talking About This«
- Nadifa Mohamed (Somalia/UK): »The Fortune Men«
- Richard Powers (USA): »Bewilderment«
- Maggie Shipstead (USA): »Great Circle«