Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat diese Woche die 20 nominierten Romane für den Deutschen Buchpreis bekanntgegeben. Erst seit 2005 verliehen, gilt die mit insgesamt 37.500 Euro dotierte Auszeichnung als deutsche Antwort auf den französischen Prix Goncourt oder den britischen Booker Prize.
Lewitscharoff, Melle und Stamm zum dritten
In diesem Jahr treffen die Werke von 14 Deutschen, vier Österreichern und zwei Schweizern aufeinander. Unter den sechs nominierten Autorinnen und 14 Autoren sind u. a. alte Bekannte wie die Büchner-Preisträger Sibylle Lewitscharoff (Das Pfingstwunder) und Arnold Stadler (Rauschzeit), Ernst Wilhelm Händler (München) und Bodo Kirchhoff (Widerfahrnis) vertreten. Für Lewitscharoff ist es die dritte Nominierung auf der Longlist, nach Consummatus (2006) und Blumenberg (2011, Shortlist). In ihrem im September erscheinenden neuen Roman Das Pfingstwunder nimmt sie sich des Seelenheils von 34 internationalen Dante-Gelehrten in Rom als Thema an.
Erfolgreicher liest sich auf dem Papier die Bilanz des gebürtigen Bonners und früheren FU-Studenten Thomas Melle. Mit Sickster (2011), 3000 Euro (2014, Shortlist) und nun Die Welt im Rücken hat er bislang drei Romane veröffentlicht – alle drei Titel landeten auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Melles neuestes Werk ist autobiographischen Ursprungs und thematisiert die bipolare Störung, an der er seit Jahren leidet. Ebenfalls zum dritten Mal auf der Longlist vertreten ist der Schweizer Peter Stamm. Mit Weit über das Land, eine Geschichte über eine Ehefrau und Mutter, die mit dem plötzlichen Verschwinden ihres Ehemanns konfrontiert wird, hat er zum ersten Mal die Chance auf der Shortlist zu stehen.
Von Hooligans, fantastischen Reisen, Stasi, RAF und Mauerfall
Mit der Schweizerin Michelle Steinbeck (* 1990) und dem Deutschen Philipp Winkler (* 1986) gelangten auch zwei Romandebütanten auf die Longlist. Steinbecks Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch ist als fantastischer Entwicklungsroman um die junge Heldin Loribeth angelegt, die ein totes Kind in einem Koffer mit sich führt. Winkler werden Außenseiterchancen für seinen in der Hannoveraner Hooligan-Szene spielenden Hool zugerechnet. Bereits zu den diesjährigen Krawallen bei der Fußball-EM in Frankreich hatte er in der FAZ „Einblick in die Kampfszene“ gegeben. Ebenfalls als eine Art Debütanten könnte man den 65-jährigen Lyriker und Dramatiker Gerhard Falkner bezeichnen, der mit Apollokalypse ebenfalls seinen ersten Roman vorlegt. Es ist ein Epochenroman über das Berlin der 1980er- und 1990er-Jahre, Erinnerungen an die Stasi, RAF und den Mauerfall inbegriffen.
Dagegen nicht auf die Longlist schaffte es der diesjährige Preisträger der Leipziger Buchmesse, Guntram Vesper mit Frohburg. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden die spät veröffentlichten neuen Romane von Christian Kracht (Die Toten) und Martin Mosebach (Mogador) sowie Bestsellerautorin Juli Zeh (Unterleuten) und Eugen Ruge (Follower), Gewinner des Jahres 2011.
Die 20 Nominierten im Überblick
(verfügbare Titel sind verlinkt und in der Philologischen Bibliothek vorhanden):
- Akos Doma: Der Weg der Wünsche (Rowohlt Berlin, August 2016)
- Gerhard Falkner: Apollokalypse (Berlin Verlag, September 2016)
- Ernst-Wilhelm Händler: München (S. Fischer, August 2016)
- Reinhard Kaiser-Mühlecker: Fremde Seele, dunkler Wald (S. Fischer, August 2016)
- Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis (Frankfurter Verlagsanstalt, September 2016)
- André Kubiczek: Skizze eines Sommers (Rowohlt Berlin, Mai 2016)
- Michael Kumpfmüller: Die Erziehung des Mannes (Kiepenheuer & Witsch, Februar 2016)
- Katja Lange-Müller: Drehtür (Kiepenheuer & Witsch, August 2016)
- Dagmar Leupold: Die Witwen (Jung und Jung, September 2016)
- Sibylle Lewitscharoff: Das Pfingstwunder (Suhrkamp, September 2016)
- Thomas Melle: Die Welt im Rücken (Rowohlt Berlin, August 2016)
- Joachim Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (Kiepenheuer & Witsch, November 2015)
- Hans Platzgumer: Am Rand (Paul Zsolnay, Februar 2016)
- Eva Schmidt: Ein langes Jahr (Jung und Jung, Februar 2016)
- Arnold Stadler: Rauschzeit (S. Fischer, August 2016)
- Peter Stamm: Weit über das Land (S. Fischer, Februar 2016)
- Michelle Steinbeck: Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch (Lenos, März 2016)
- Thomas von Steinaecker: Die Verteidigung des Paradieses (S. Fischer, März 2016)
- Anna Weidenholzer: Weshalb die Herren Seesterne tragen (Matthes & Seitz Berlin, August 2016) – in Erwerbung
- Philipp Winkler: Hool (Aufbau, September 2016)
Die Longlist wird am 20. September 2016 von der Jury um die Literaturkritiker Thomas Andre (Hamburger Abendblatt), Lena Bopp (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Christoph Schröder, Sabine Vogel (Berliner Zeitung) und den Berliner Kritiker und Autor Najem Wali auf sechs finale Romane reduziert, die sogenannte „Shortlist“. Die Preisverleihung findet zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse am 17. Oktober 2016 statt.
Zwar ist die kostenfreie App mit Artikelanfängen seit 2014 passé, aber über detektor.fm lassen sich kostenfrei nach und nach Auszüge aus den nominierten Romane anhören (auch als App verfügbar).