Nachdem im letzten Jahr die US-amerikanische Dichterin Louise Glück siegreich war, hat die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm erneut einen Überraschungskandidaten gekürt. Der Literaturnobelpreis des Jahres 2021 geht an den aus Tansania stammenden und in Großbritannien lebenden Schriftsteller Abdulrazak Gurnah „für sein kompromissloses und mitfühlendes Durchdringen der Auswirkungen des Kolonialismus und des Flüchtlingsschicksals in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten“. Themen in seinen bisher zehn auf Englisch veröffentlichten Romanen sind das Exil, die Entfremdung und Männlichkeit. Obwohl Gurnahs Geschichten nicht explizit autobiografisch gefärbt sind, sind sie inspiriert von seinem Leben als Emigrant im Vereinigten Königreich.
Gurnah wurde 1948 auf Sansibar geboren, das damals noch unter britischer Kolonialherrschaft stand. Der Sohn kenianischer und jemenitischer Eltern wurde von der muslimischen Kultur, den lokalen mündlichen Überlieferungen und dem Unterricht nach dem britischen Schulsystem geprägt. Im Jahr 1968 übersiedelten Gurnah und sein Bruder durch ein Touristen-Visum nach Großbritannien, nachdem in seiner Heimat jahrelang eine gewaltsame Revolution geherrscht hatte. Im Vereinigten Königreich traf Gurnah wiederum auf große Vorurteile gegenüber afrikanischen und muslimischen Einwanderern. Er studierte dort an der London University, die er 1976 mit einem Bachelor-Abschluss in der Fachrichtung Pädagogik verließ. Anfänglich hatte er Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle als Lehrer zu finden. Schließlich war er in Kent erfolgreich, wo er parallel Literaturwissenschaft an der dortigen Hochschule studierte. Nach einem Universitätsposten in Nigeria (1980–1982), kehrte Gurnah nach England zurück, schloss seine Doktorarbeit ab und lehrte an der University of Kent, wo er als Professor für postkoloniale Literatur tätig war. Seit 2006 ist er Mitglied der britischen Royal Society of Literature.
Im Jahr 1987 veröffentlichte Gurnah mit Memory of Departure seinen ersten Roman, der in Ostafrika angesiedelt ist. Die folgenden Werke Pilgrim’s Way (1988, dt.: Schwarz auf weiß) und Dottie (1990) hatten Rassismus gegenüber dem Immigranten-Milieu zum Thema. Bis ins Jahr 2020 hat Gurnah neben zahlreichen Kurzgeschichten sieben weitere Romane veröffentlicht, zuletzt Afterlives (2020). Sein Roman Paradise (dt. Das verlorene Paradies), der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutsch-Ostafrika spielt und von einem Kindersklaven erzählt wird, gelangte 1994 auf die Shortlist des renommierten britischen Booker Prize. Parallel wirkte Gurnah bei der Zeitschrift Wasafiri sowie als Herausgeber einiger Bände der Essays on African Writing und des Cambridge Companion to Salman Rushdie (2007) mit. Wiederholt veröffentlichte er auch Artikel über postkoloniale Autoren und Buchrezensionen in angesehenen Medien wie Guardian oder Times Literary Supplement.
Weitere Literatur von/über Abdulrazak Gurnah im Bibliotheksportal Primo
Die Preisübergabe an die Nobel-Laureaten erfolgt alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels. Eines eint Vorjahressiegerin Glück und Gurnah – auch die Bücher des Literaturnobelpreisträgers von 2021 sind bei Bekanntgabe im deutschen Buchhandel vergriffen. Noch …
Quellen:
- Text: Jenny Ludwig: Abdulrazak Gurnah. In: Contemporary Literary Criticism, hrgs. von Lawrence J. Trudeau, Vol. 368, Gale, 2015. (Zugriff am 7. Oktober 2021 via Gale Literature Resource Center)
- Bild: PalFest via Wikimedia Commons (Lizenz CC-BY-2.0)