Wikipedia aus Protest offline

Wer heute in der deutschsprachigen Wikipedia nachschlagen möchte, wird durch eine Protestnote daran gehindert. Seit Mitternacht ist das beliebte Mitmach-Lexikon komplett abgeschaltet, allerdings „nur“ für einen Tag, wie bereits letzte Woche im Blog des Vereins Wikimedia Deutschland zu lesen war. Protestiert wird gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform, über die nächste Woche im Europäischen Parlament abgestimmt werden soll.

Anfang März 2019 hatten sich in einem Meinungsbild (Link ist erst ab Freitag wieder abrufbar) zwei Drittel von 222 registrierten Mitgliedern für einen Protest ausgesprochen. Kritisiert werden vor allem die Artikel 11 und 13 des geplanten Gesetzes. Paragraf 11 sieht ein strenges Leistungsschutzrecht für Presseverleger vor. Zukünftig würde für die Nutzung kleinster Ausschnitte journalistischer Inhalte im Netz zwingend die Lizenz des Verlegers benötigt. Davon wären beispielsweise die über soziale Medien gern geteilten automatischen Previews bzw. Snippets zu Nachrichten-Artikeln mit Bild und Textausschnitt betroffen. Mit Artikel 13 sollen zukünftig kommerzielle Apps und Online-Plattformen in die Pflicht genommen werden, hochgeladene Beiträge ihrer Mitglieder vorab auf urheberrechtlich geschütztes Material zu prüfen. Dies wäre technisch nur mit sogenannten Upload-Filtern möglich. Diese Computerprogramme gelten aber als fehleranfällig und könnten auch reguläre Beiträge blockieren. Die Wikipedia-Community fürchtet also, dass die geplante EU-Reform dazu führen könnte, dass das freie Internet erheblich eingeschränkt wirkt. Die Kritik wird u. a. auch vom Deutschen Bibliotheksverband (dbv) geteilt, der die Urheberrechtsreform im Widerspruch zu bibliothekarischen Werten sieht.

Doch was tun, falls man heute in die Verlegenheit kommt, einen Begriff nachzuschlagen? Biblioblog präsentiert vier Alternativen, um den Tag zu überstehen:

    1.  Wikipedia-App: Aufgrund des technischen Aufwands war es  nicht möglich, den Protest auch auf die App-Versionen zu übertragen. Man kann sie nach wie vor in den bekannten App Stores (z. B. iOS-Version via App Store oder Android-Version via Google) herunterladen und regulär benutzen. Wer vorab die App bereits installiert hatte und diese auch als Standard beim Nachschlagen ausgewählt hat, wird kaum etwas von dem heutigen Protest mitbekommen, es sei denn, man versucht die Wikipedia-Startseite zu besuchen.
    2. Andere Wikipedia-Sprachversion nutzen: Wikipedia existiert in fast 300 Sprachen. Von der Abschaltung sind „nur“ die deutsche Version bzw. Versionen in deutschsprachigen Dialekten (vgl. Alemannische Wikipedia) betroffen. Via www.wikipedia.org lässt sich beispielsweise die englischsprachige Version ohne Einschränkung nutzen, die aufgrund der zahlenmäßig größeren Sprachgemeinschaft mit 5,8 Mio. Artikeln mehr als doppelt so viele Inhalte bietet.
    3. Mirror nutzen: Die Wikipedia-Inhalte unterliegen einer Creative-Commons-Lizenz, die u. a. die Weitergabe unter gleichen Bedingungen, auch für kommerzielle Projekte, erlaubt. Viele Dienste haben sich das zu Nutze gemacht und präsentieren Original-Wikipedia-Artikel einfach unter einem anderen Layout. So hat beispielsweise das Zentrum für Bildungsinformatik der Pädagogischen Hochschule Bern mit Wikibu.ch einen Mirror geschaffen, der Hilfestellung bei der Qualitätseinschätzung von Artikeln gibt (für Details siehe Artikel im Biblioblog 07/2009).
    4. Alternativen nutzen: Vom Umfang und der Beliebtheit  her kann es wohl kein anderer Anbieter mit der deutschsprachigen Wikipedia aufnehmen. Aktuell umfasst sie etwa 2,3. Mio. Artikel und wird ca. 30 Mio. Mal am Tag aufgerufen. Man muss nicht gleich zur analogen Alternative greifen, wie sueddeutsche.de in einem gestrigen Artikel skandierte. Die FU Berlin verzeichnet in ihrem Datenbank-Infosystem (DBIS) mehr als 2100 lizenzpflichtige und freie Online-Ressourcen, darunter zahlreiche Fachenzyklopädien. Munzinger Online wartet beispielsweise mit redaktionell aufbereiteten Länderprofilen, einem Gedenktage-Kalender oder Biografien auf. Wer im Bereich Literatur recherchiert, kommt kaum am Killy, Kindlers Literatur-Lexikon oder an der Verfasser-Datenbank vorbei. Das ebenfalls von der FU lizenzierte World Biographical Information System umfasst rund 8,5 Millionen biografische Artikel zu mehr als sechs Millionen Personen aus etwa 8.600 Nachschlagewerken, die vom 16. bis zum Beginn des 21. Jahrhundert reichen. Wer des Englischen mächtig ist, kann auf das kostenfreie Online-Angebot der altehrwürdigen Encyclopædia Britannica ausweichen.
Bild: Lane Hartwell (abgeleitetes Werk; CC-BY-SA-3.0)